Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Gerade noch rechtzeitig vor der nächsten großen Coronawelle in Frankfurt am Main, die den Resten der Buchmesse noch den letzten Rest gab, weil alle schon eingeladenen Gäste wieder ausgeladen werden mußten, konnte die VDJ ihren Hans-Litten-Preis an Rolf Gössner in einer würdigen Zeremonie mit Gästen verleihen. Die drei gehaltenen Reden waren dem Preis und dem Preisträger in besonderer Weise angemessen, weshalb WELTEXPRESSO, kein Fachblatt, sondern eine Tageszeitung, entschied, alle drei Reden zu veröffentlichen - und dann doch noch etwas dazu zu sagen.
Wir hoffen, daß unsere Leser den Abdruck durch Lesen würdigen und wollen die Inhalte hier nicht wiederholen, sondern auf Korrespondenzen aufmerksam machen, die einem auf den ersten Blick auffallen. Hans Litten Preis! Hans Litten Preis? Ist Hans Litten überhaupt heutigen Juristen ein Begriff? Fragen Sie besser nicht Jurastudenten in Frankfurt. Da erging es uns so niederschmetternd wie beim Versuch, den Bekanntheitsgrad von Fritz Bauer innerhalb der hiesigen Jurastudenten und Jurastudentinnen zu eruieren. Und dabei gibt es an der Goethe-Uni sogar einen Fritz Bauer Preis und das Holocaustinstitut, das seinen Namen trägt, ist an dieser Universität beheimatet. Nun mögen Jurastudenten kein Maßstab sein. Wirklich nicht? Natürlich sind sie ein Maßstab, die zukünftige Jura-Elite der Bundesrepublik. Als ich nämlich nach der Fernsehserie BABYLON BERLIN frug, kannten diese alle, zumal diese Serie in letzter Zeit häufig in den Zeitungen und im Internet auftauchte, da am Sonntag, einen Tag nach der Preisverleihung, die ersten drei Teile der dritten Staffel begannen. In den Rollen von BABYLON BERLIN taucht auch der radikale Demokrat und Advokat des Proletariats Hans Litten auf. Und kaum wurde diese Information durch mich an einer Gruppe von Studenten sozusagen 'durchgesteckt', schon war das Interesse für die historische Figur, den Juristen Hans Litten da.
Nun kann man in der Regel notwendiges, zumindest wünschenswertes historisches Wissen nicht allein über dramaturgisch zugespitze Filme transportieren, weshalb eine solche Preisverleihung neben der Ehrung für den Preisträger auch eine gute Gelegenheit ist, mehr über den zu erfahren, in dessen Namen ein für die Bundesrepublik Deutschland so herausragender Jurist wie Rolf Gössner geehrt wird.
Hans Litten wird am 19.Juni 1903 in Halle geboren, Fritz Bauer Wochen später am 16. Juli 1903 in Stuttgart. Als der Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mitten in wichtigen rechtspolitischen Vorhaben - die Euthanasieprozesse, die er gerade vorbereitete, waren ihm die bedeutsamsten von allen - am 1. Juli 1966 noch nicht 65jährig überraschend stirbt, ist das für uns alle ein jäher Tod mitten im Leben gewesen. Der Rechtsanwalt Hans Litten jedoch, den die Nazis wie den jüngsten Amtsrichter Deutschlands und Sozialdemokraten Fritz Bauer unmittelbar nach ihrer Machtergreifung in Haft nahmen - Litten am 28. Februar in Berlin, Bauer am 23. März 1933 in Stuttgart -, blieb in Haft, wurde von KZ zu KZ weitergereicht, ständig gefoltert und starb am 5. Dezember 1938, 34jährig, im KZ Dachau. Ob er ermordet wurde oder in den Selbstmord getrieben wurde, ist heute nicht zu entscheiden und ist letzten Endes ja auch dasselbe. Fritz Bauer war da schon fast zwei Jahre im Exil in Dänemark. 1933 wurde er von den Nazis als SPD-Mann politisch gefährlich eingestuft, deshalb bei Stuttgart verhaftet worden und später mit Berufsverbot freigelassen. Emigriert ist Bauer, der durch die Nürnberger Gesetze als Jude behandelt wurde, dessenwegen. Für die Nazis war aber jemand wie Litten viel stärker ein Stachel im Fleisch.
Denn Hans Litten war mitten im politischen Geschehen in Berlin derjenige, der das Unrecht erst der reaktionären politischen Kreise, dann übergangslos das der Nationalsozialisten in Prozessen an die Öffentlichkeit brachte. Peinlich, wie oft Pollizeiobere, gegen die Hans Litten im Namen seiner Mandanten anging, der SPD entstammten. Was haben sie ihn gehaßt, den Mahner, der nicht mit Gewalt, sondern mittels des Rechts die Oberhand gewann und das Unrecht der Herrschenden brandmarkte. Anders als Fritz Bauer, der als Atheist im Nachkriegswestdeutschland die Humanistische Union gründete, und schon in seiner säkularen Erziehung keine Ahnung vom Judentum seiner Großeltern hatte, verlief dieser Prozeß bei Hans Litten fast umbekehrt. Seinem Vater, einem militaristischen, die Weimarer Republik hassenden Erzkonservativen warf er vor, aus opportunistischen Gründen das Judentum abgelegt zu haben, und näherte sich diesem wieder an. Aber das ist nur ein persönlicher Touch in einem kurzen Leben, das geprägt ist durch einen beispielllosen juristischen Kampf, mit den Mitteln des Rechts so lange Ungerechtiugkeit und Verbrechen der Staatsorgane vor die Richter zu zerren, wie es überhaupt ging. Daß man ihn den "Anwalt des Proletariats" nannte, hat damit zu tun, daß er viele gewerkschaftlich organisierte Arbeiterkämpfer verteidigte.Seine Prozesse, die er führte, wären eines eigenen Artikels wert und man fragt sich, wenn man sich wegen des Hans Litten Preises mit diesem Juristen und Antifaschisten beschäftigt, warum diese Prozesse und sein Anwaltsmandat keine größere Öffentlichkeit in der Geschichte der Bundesrepublik erreichten, es beispielsweise keine Romane, keine Filme über ihn gibt.
Auch wenn es sich absolut verbietet, ein Juristenleben Ende der Weimarer Republik, des beginnenden Faschismus und des mordenden Nationalsozialismus mit einem solchen in der Bundesrepublik Deutschland zu vergleichen, fährt einem doch der Schreck in die Glieder, wenn man von den beruflichen und persönlichen Umständen erfährt, die dem Hans-Litten-Preisträger Rolf Gössner mit einer nach außen einwandfreien bürgerlichen Juristenkarriere in der Bundesrepublik widerfahren sind. Lesen Sie unbedingt seine Ausführungen dazu in seiner Dankesrede. Unbedingt. 40 Jahre vom Verfassungsschutz überwacht, 15 zusätzliche Jahre, sich mit den Mitteln des Rechts dagegen zu wehren und damit zu unterbinden, daß der Staatsbürger Gössner als Verfassungsfeind eingestuft wird, wo doch gerade er durch sein berufliches und persönliches Verhalten Zeit seines Lebens die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland schützen half und insbesondere den doch eigentlich festgeschriebenen Grundrechten auch zu einer Verfasssungswirklichkeit mitverhalf und verhilft.
Gössner hat selbst mit Demut und Respekt auf die Verleihung eines Preises im Namen von Hans Litten reagiert und festgestellt: "Hans Litten riskierte in seiner Zeit unendlich viel und musste sein juristisches, sein anwaltliches Engagement mit dem Leben bezahlen. Hans Litten gilt als einer der bedeutendsten Anwälte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik; er war ein mutiger antifaschistischer Rechtsanwalt und Strafverteidiger, vertrat und verteidigte widerständige Arbeiter, Opfer von Polizeiübergriffen und Nazigewalt und notleidende Arbeiterfamilien. In einem Strafprozess 1931, in dem er von einem SA-Rollkomando verletzte Arbeiter als Nebenkläger vertrat, trieb er Adolf Hitler in die Enge, dessen Anhörung als Zeuge er durchgesetzt hatte. Schon kurz nach NS-Machtergreifung und Reichstagsbrand 1933 wurde Litten interniert, in mehrere Konzentrationslager deportiert – zuletzt nach Dachau, wo er nach fünfjähriger Haft den Misshandlungen der Nazischergen erlag und systematisch in den Suizid getrieben wurde. Er starb vor 82 Jahren, 1938, gerade mal 34 Jahre jung."
Er ist der erste, der sich gegen einen Vergleich beider - Litten und Gössners - Tätigkeiten und die politischen staatlichen Reaktionen wehrt. Wir Bundesdeutsche sind aber darauf angewiesen, daß sich Bürger und Juristen wie Rolf Gössner in besonderer Weise gegen geheimdienstliche Überwachung wehren "wegen Verletzung meiner Grundrechte auf Meinungs-, Presse- und Berufsfreiheit sowie auf informationelle Selbstbestimmung." Und er hat Recht bekommen, aber staatlichen Stellen war das Recht nicht recht und es ging in die nächste Instanz. Das ist in meinen Augen genauso verwerflich wie die ursprüngliche Überwachung. Und jetzt kommt der eigentliche Skandal. Wäre Rolf Gössner ein Rechtsradikaler, hätte er solche Leute vertreten, derartige Artikel geschrieben, in rechten Presseorganen publiziert, wäre seine Chance sehr groß gewesen, vom Verfassungsschutz unbehelligt geblieben zu sein. Das muß man sich nach der deutschen Vergangenheit 1933-1945 mal vorstellen! Nicht Linke haben Deutschland in den moralischen und gesellschaftlichen Abgrund geführt, sondern genau diese Leute, die mit einer rechtsradikalen Gesinnung sich schon wieder trauen, das Maul aufzureißen und schlimmer noch, die zu ermorden, die als Symbol für ihre großdeutsche Politik und ihre weiße Herrengesinnung ihr Leben lassen mußten. Auch hier hat Rolf Gössner, der einfach auch ein Mann ist, der sehr gut mit Worten umgehen kann, das Entscheidende in seiner Rede gesagt: "Ich empfand es übrigens mehr als schockierend, mit welcher ideologischen Verbissenheit und Ausdauer dieser Inlandsgeheimdienst – neben vielen anderen linken Gruppen und Antifaschisten – mich und mein bürgerrechtliches Engagement jahrzehntelang beobachtet hatte – während sich zeitgleich auf der anderen Seite Neonazis, rechte Gewalt und Terror fast unbehelligt – teils über ein unkontrollierbares V-Leute-System staatlich „betreut“ – entwickeln und ihre Blutspur durch die Republik ziehen konnten: mit insgesamt mehr als 200 Toten allein seit 1990."
Und dann hat Rolf Gössen uns für unsere Einmischung in die eigenen Angelegenheiten - denn das sind die Grundrechte - allen noch etwas mit auf den Weg gegeben, was man manchen ausdrücklich aufs Brot schmieren muß: sich bewußt zu sein, daß man reflektieren muß, nicht unter der Hand die unbewußte Schere im Kopf wirken zu lassen, daß die eigene Arbeit einem negative Folgen bringen könnte und man sie deshalb unterläßt.
Wenn man sich die Köpfeleiste von WELTEXPRESSO anschaut, wird man sehen, daß unsere publizistische Arbeit an der Aufklärung und den Menschen, die diese lebendig halten, orientiert ist. Insofern ist es uns eine Ehre, daß Rolf Gössner bei uns zweimal Serien veröffentlichte, deren letzte wir als Links unten bringen und deren Thematik: Corona und die Grundrechte in der Zuspitzung, daß es kein 'Supergrundrecht' geben kann, das andere Grundrechte aushebelt, aktuell bleibt.
Foto:
Hans Litten© hans-litten.de
Rolf Gössner© rolf-goessner.de
© Stolperstein, Zolastraße 1a, in Berlin-Mitte
Info:
Die Serie von Rolf Gössner zu Corona und den Grundrechten
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/19256-buergerrechtliche-orientierung-fuer-offene-kritische-debatte
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/19269-grundrechte-demokratie-und-rechtsstaat-in-gefahr
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