Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – Das von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs ins Leben gerufene Nürnberger Tribunal hat stellvertretend für die zivilisierte Welt die von Deutschen im Auftrag der NS-Führung begangenen Verbrechen verurteilt und die von den Nazimachthabern erlassenen Gesetze für null und nichtig erklärt.
Zehn Jahre später urteilte der Bundesgerichtshof im Prozess gegen einen ehemaligen SS-Richter, für die Frage, ob sich der Beschuldigte der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht habe, sei nicht entscheidend, wie sich die Ereignisse von damals nach heutiger Sicht darstellten. Vielmehr sei ins Auge zu fassen, wie sich seine Aufgabe nach der Gesetzeslage zur Tatzeit darstellte. „Ausgangspunkt dabei ist das Recht des Staates auf Selbstbehauptung“, heißt es in dem Urteil vom 25. Mai 1956, „In einem Kampf um Sein oder Nichtsein sind bei allen Völkern seit jeher strenge Gesetze zum Staatsschutz erlassen worden. Auch dem nationalsozialistischen Staat kann man nicht ohne weiteres das Recht absprechen, dass er solche Gesetze erlassen hat.“ Angeklagt war der ehemalige Chefrichter beim SS-und Polizeigericht München, Otto Thorbeck. Er wurde freigesprochen.
Mit seiner Begründung brachte der Bundesgerichtshof das gesamte Urteil gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Einsturz, fielen doch die meisten ihrer Taten und die von ihnen erlassenen Gesetze in eine Zeit des „Kampfes um Sein oder Nichtsein“. Dass der BGH dem NS-Staat das Recht zubilligte, aus Gründen der Selbsterhaltung strenge Gesetze zu erlassen, hebelt – von allem anderen abgesehen - alle späteren Prozesse wegen Völkermordes aus. Nach dieser Logik hätten auch die bosnischen Serbenführer Milosevic und Karadzic das Recht auf Selbstbehauptung für sich reklamieren können. Das haben die meisten Kommentatoren, die die Bedeutung des Nürnberger Urteils im Wesentlichen auf die späteren Völkermordprozesse bezogen, übersehen.
Für den demokratischen Wiederaufbau spielte die Aburteilung der Naziverbrecher durch die Alliierten eine wichtige aber keineswegs ausschlaggebende Rolle. Viele sahen in der „Siegerjustiz“ einen Umerziehungsversuch, von dem sich die meisten nicht angesprochen fühlten. Die anschließende Entnazifizierung entpuppte sich als Farce, bei der die Kleinen „gehängt“ und die Großen laufengelassen wurden.
Gleichsam im Vorgriff auf die Nürnberger Prozesse hatte der spätere hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer in der schwedischen Emigration zur Lösung des Kriegsverbrecherproblems ein Weltgericht gefordert. „Noch besser wäre es, wenn das deutsche Volk den Ausgleich selbst vollziehen würde“, schrieb er in seinem Buch „Die Kriegsverbrecher vor Gericht“. Ein ehrliches deutsches „J’accuse“ würde, so Bauer, das eigene Nest nicht beschmutzen. „Es wäre ganz im Gegenteil das Bekenntnis zu einer neuen deutschen Welt.“ ( (Irmtrud Wojak, Fritz Bauer – Eine Biographie, Verlag C.H.Beck 2011, S. 180,f.)
Zwei Menschenalter danach sieht die neue deutsche Welt anders aus, als manche sich das dereinst erhofften. Nicht die von den Nazis aus der Heimat vertriebenen Patrioten, die an der deutschen Geschichte mitgeschrieben und sie zum Guten hin beeinflusst haben – so Andreas Vosskuhle als Präsident des Bundesverfassungsgerichts über Fritz Bauer – gaben den Ton an, sondern die alten Eliten, denen nichts ferner lag als eine wirkliche Umgestaltung, wie sie die CDU noch in ihrem Ahlener Programm gefordert hat. Heute sitzt eine Partei in Kompaniestärke im Bundestag, deren Vorsitzender die Nazizeit als „Vogelschiss“ abtut und die sich mit Leuten gemein macht, die als Besucher getarnt in das Parlamentsgebäude eindringen und dort Abgeordnete bedrängen und beschimpfen, wie das die Nazis in der Weimarer Zeit getan haben. Mene mene tekel u-parsin.
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WELTEXPRESSO gratuliert seinem langjährigen Autor Kurt Nelhiebel zu seinem Friedenspreis und freut sich, daß ihm, der immer seine Meinung sagt, auch dann, wenn er dafür keine Preise erhält, erneut ausgezeichnet wurde. Er hat es verdient.
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