Hanswerner Kruse
Frankfurt (Weltexpresso) - Auf der letzten Buchmesse stellte die Regisseurin und Autorin Doris Dörrie ihre Publikation „Leben. Schreiben. Atmen“ vor, die sie im Untertitel lakonisch „Eine Anleitung zum Schreiben“ nennt.
Dörrie dreht nicht nur skurrile oder tragische Filme wie „Männer“ oder „Kirschblüten“, sondern schreibt auch. Die Geschichten sind oft Vorlagen für ihre Drehbücher, manchmal aber eigene Literatur. Geschriebenes oder Gefilmtes ist bei ihr gleichermaßen bildhaft und sinnlich. Sie unterrichtet seit vielen Jahren Filmgestaltung in München, gibt an der Hochschule aber auch Schreibkurse.
Ihr Buch ist nun wirklich keine Lehrfibel, sondern eine Sammlung alltäglicher Geschichten, die häufig ins Fantastische gleiten: „Ich mochte den süßlich scharfen Geruch, wenn die Teermaschine langsam die Straße entlangrollte und wir Kinder heimlich unsere Füße in den frischen Teer drückten, immer mit ein wenig Angst, drin hängen zu bleiben und dort auf der Straße, gleich vor dem Elternhaus, gefangen im Teer unser Leben verbringen zu müssen.“
Die großartige Erzählerin springt ständig zwischen den Zeiten, eben noch selbst ein Kind ist sie nun Mutter - oder sie hüpft zwischen Deutschland, USA und Japan hin und her. Durch viele Geschichten zieht sich ihre jahrzehntelange Freundschaft mit der Amerikanerin N., die sie in den USA an der Uni kennenlernte: Beide waren Outsider und bekamen eine Küche als Zimmer im Wohnheim: „Keine hat es mit uns ausgehalten. Mein Bett steht unter der Spüle, ihres neben dem Herd.“ Nicht nur bei dieser Sequenz fragt man sich, ist das nun wahr oder gelogen? Doch das Erfinden spielt in ihren literarischen oder cineastischen Erzählungen immer eine große Rolle. Ihr Buch liest sich wie ein Sammelsurium von kunterbunten Erinnerungen und beliebigen Einfällen, aber zum Ende fügt sich alles im Kopf des Lesers zu einer biografischen Collage.
Nach jedem Kapitel fragt man sich, wie war das eigentlich bei mir mit dem Tanzen, dem Vater oder dem vergangenen Tag? So gelangt man durch ihre Geschichten oft zu eigenen Erlebnissen. Dörrie erzählt munter drauflos, von einfachen zu immer komplexeren Episoden, aber auch ihre Fragen werden anspruchsvoller. Ihrer Schreibhilfe folgen heißt eigentlich, das Buch zweimal zu lesen, einmal um ihre Stories zu genießen und dann um (vielleicht) das eigene Schreiben zu verbessern.
Dörrie fordert zehn Minuten lang ohne Pause zu schreiben, egal zu welchem Thema - ob nun Sterben, Sucht oder Haut und Pickel. Hilfreich sei es, in der dritten Person zu schreiben, denn so könne man manchmal ehrlicher sein als in der Ich-Erzählung. Sie empfiehlt Schreiben ohne Ehrgeiz und Ziel, „nur notieren und sich so des eigenen Lebens zu vergewissern.“ Hilfreich sei dazu das Flanieren, „von einem Ort zum anderen wandern, anhalten, zehn Minuten schreiben, weitergehen.“
Das bedeutet, „sich jeden Tag wieder aus dem kleinen ordentlichen Garten mit gemähtem Rasen und Blumenrabatten herauszuwagen in den Dschungel. Dorthin wo wilde Pflanzen wachsen und gefährliche Tiere umherstreifen. Dorthin, wo die Geschichten nicht mehr hübsch und ordentlich sind, sondern schillernd, giftig, schmerzhaft und wüst.“
Foto:
© Amrei-Marie (Wikipedia)
Info:
Doris Dörrie: „Leben. Schreiben. Atmen“, Diogenes-Verlag, Leinen, 278 Seiten, 18 Euro
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