Zum 200. Geburtstag der Institution des englischen Großschriftstellers Charles Dickens, Teil 5
Claudia Schulmerich
London (Weltexpresso) – Biographisch stimmig wird von Gelfert dann Leben und Werk von der Wiege bis zur Bahre begleitet. Dabei hat der Autor jeweils relativ kurz 27 Stationen ausgewählt, was sich kurzweilig liest und darüberhinaus noch von Dickens’ Familie und Dickens’ Freundeskreis berichtet, sowie eine Zeittafel und die Auflistung aller seiner Werke (Seiten 356 – 360) hinzugefügt.
Letzeres kann man immer wieder gut brauchen, weil man die Abfolge der Romane nicht gut im Kopf behalten kann, so viele sind es, sondern durch bestimmte Veröffentlichungen sich selbst Pflöcke in das Leben und Werk rammt, an dem man sich biographisch dann entlanghangelt.
Die Kapitel haben inhaltliche Überschriften wie „Erste Liebe, Erster Ruhm (1829-1835), mit dem Ruhm sind die SKIZZEN VON BOZ gemeint oder „Lust und Last des Schreibens“ (1839), was OIVER TWIST gilt, „Auf der Erfolgsspur“ (1839), das ist NICHOLS NICKLEBY, so daß seine Werke ein Amalgam mit seinem Leben darstellen, das dann unter besagtes Motto gestellt wird und immer die entsprechenden Jahreszahlen als objektives Datieren bei sich hat. Nehmen wir „Der autobiographische Roman“ (1849-1850), wo DAVID COPPERFIELD von Seiten 177 bis 182 seine Rolle spielt.
Gelfert nimmt an, daß der Tod von Dickens Schwester und seine Weihnachtsgeschichte ihn auf seine eigene Erinnerungsspur gebracht habe. Das ist das eine, psychologisch verständliche. Eine ganz andersartige Motivation für ein autobiographisches Werk könnte aber auch der Erfolg von Charlotte Bronteis Roman JANE EYRE in der auktorialen Erzählform gewesen sein, wo Dickens klar wurde, daß der „anspurchsvolle Leser nach einer subjektiveren, psychologisch differenzierteren Erzählweise verlangten“ (177) auf jeden Fall nahm er sein eigenes autobiographisches Fragmente und „ließ es zur Keimzelle des neuen Romans werden.“
Im selben Zeitrahmen wurde sein achtes Kind geboren, das er Henry Fielding nannte. Da sind wir sofort bei Tom Jones und so vielen Bezügen, daß wir lieber entscheiden, Ihnen diese Biographie ans Herz zu legen. Wir sind sicher, daß Sie den einen oder anderen Roman dann dringend selber lesen wollen. Denn Sie müssen es nicht wie wir machen, die wir seit es diese für uns damals schöne, heute etwas vergilbte Dünndruckausgabe aus dem Winkler Verlag rund um 1960 hatten, alle Bände, die später ergänzt wurden, wirklich lasen und auch immer wieder lesen. Dickens ist so einer, der für viele Lektüren gut ist.
Hans-Dieter Gelfert, Charles Dickens. Der Unnachahmliche, C.H.Beck Verlag
Info:
Ausstellung in London bis 10. Juni 2012
Literatur:
Statt eines eigenen Kataloges verweist das Museum auf das Buch DICKENS’S VICTORIAN LONDON 1839-1901, von Alex Werner und Tony Williams. Auf den Katalog hat man verzichtet, weil die vielen Ausstellungsstücke dann zu den jeweiligen Leihgebern zurückwandern und die Darstellung des sinnlich Wahrnehmbaren schwer schriftlich wiederzugeben ist. Das ist richtig und dennoch schade.
Wir stützen uns auf unsere 15 teilige Winkler Dünndruckausgabe. Tatsächlich sind alle Bücher gelesen, das sieht man noch heute, aber wann, das wissen wir nicht mehr. Allerdings nicht als Kind. Das nämlich ist ein Märchenglaube, daß Dickens ein Kinder- oder Jugendschriftsteller sei. Sein einziger Versuch in diese Richtung scheiterte kläglich. Groß ins Geschäft kommt die neue Ausgabe von GROSSE ERWARTUNGEN im Hanser Verlag (und der gleichnamige Film von David Leans) und DER SCHWARZE SCHLEIER:NEUENTDECKTE MEISTERERZÄHLUNGEN aus dem Aufbau Verlag.
Seit 1870, seinem Todestag, sind über 200 Biographien über Dickens erschienen. Derzeit wird die neueste von Hans-Dieter Gelfert, CHARLES DICKENS. DER UNNACHAHMLICHE im Verlag C.H. Beck angeboten. Die Biographin, die am sichersten zu Hause im 19. Jahrhundert in England ist, Claire Tomalin, arbeitet seit Jahren an einer umfassenden Biographie zu Dickens. Bisher hatte sie auch Frauen in seinem Umfeld porträtiert.
William Raban, ein experimenteller Dokumentarfilmer hat einen Filmessay zusammengestellt THE HOUSELESS SHADOW, in dem wir das London von heute bei Nacht sehen, wozu die Texte von Dickens ertönen, der sich nächtlich durch London bewegte.
Die bisherige Serie Charles Dickens
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