Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. Juli 2016, Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Be- und gefangen kommt man aus dem Film heraus, wenn man die Romanvorlage von John le Carré gelesen und zusätzlich als Hörbuch noch gehört hatte, weil der Film völlig unabhängig vom Detail oder Genauigkeit der inhaltlichen Wiedergabe, eines perfekt leistet: die Atmosphäre wiederzugeben, die man beim Lesen und Hören spürt und zudem die handelnden Menschen wiedererkennt.


Das gilt in erster Linie für die beiden Haupthelden, den Anglistikdozenten Perry  Makepeace (nomen est omen -Ewan McGregor) und den russischen Finanzier der dortigen Mafia Dima, korrekt auch bezeichnet als den Geldwäscher der russischen Mafia (Stellan Skarsgard). Um Letzteren kreist das Geschehen und Perry war einfach der einzige an Ort und Stelle, als Dima dringend einen Fremden brauchte, um ihm sein innerstes Geheimnis mitzuteilen. Ja, das kann er, John le Carré mit unseren Gefühlen Schlitten fahren und uns so sehr in eine Geschichte verwickeln, daß wir mitleiden und uns mitfreuen, als ob es die eigene Familie wäre.

Insofern macht Dima mit Perry genau das, was John le Carré mit Dima im Roman in Gang gesetzt hatte: einer emotionalen Kraftmaschine, einer russischen Seele mit Tiefgang und Geheimnissen, die sich unter Mitnahme aller Geheimdienstkenntnisse nach London absetzten will. Perry soll deshalb einen USB-Stick für den britischen Auslandsgeheimdienst M 16 nach London mitnehmen, worauf die Briten ihm und seiner Familie nicht nur Aufenthalt in Großbritannien, sondern auch Schutz vor russischer Vergeltung bieten sollen.

Problem ist nur, daß der neue englische Innenminister und frühere Geheimdienstchef Aubrey Longrigg (Jeremy Mortham) an vorderster Front auf der Gehaltsliste der neuen Mafia steht, die sich Vory nennt. In Rußland wurde gerade nach Übertragung der Papiere der alten Gesellschaft auf die neue Gesellschaft und damit den neuen „Prinzen“ der Gewährsmann und auch Freund von Dima erschossen. Zusammen mit seiner Frau und seiner 17jährigen Tochter. Für deren Ermordung findet der Film poetische, ja geradezu surreale Bilder. Dima weiß also, was ihm blüht, wenn er die allen anderen geheimen Konten den neuen Machthaber bekanntgegeben hat.

Aus dieser Konstellation, daß wir einerseits wissen, wie diese neue russische Mafia ihre Welt sauber hält und wir für Dima samt Familie nur das Schlimmste erwarten können, gleichzeitig der Film zu Dima und seiner Familie eine emotionale Beziehung und Wärme aufbaut und zwar durch die Anteilnahme, die mehr und mehr die erst zögerlichen Engländer Perry und Gail  an ihnen nehmen, stellvertretend für uns, erhält der Film seine Spannung, die dadurch noch gesteigert wird, weil wir noch nicht wissen, inwieweit dieser Aubrey Longrigg und damit die englische Politik in die Verbrechen miteinbezogen ist.

Wenn am Schluß Dima endlich nach London zu den Info-Sitzungen im Hubschrauber unterwegs ist,  wir uns mit dem zuschauenden Perry eigentlich zurücklehnen könnten, denn jetzt wird in London Tacheles geredet und kommt alles ans Licht, da explodiert das Ding in der Luft und niemand kann überleben. Wer das war? Suchen Sie es sich aus. Es gibt verschiedene Übeltäter.

Der Film folgt hierin dem Buch. Aber der Film gibt mehr Erleichterung als der Roman, wenn er denn die Familie vom ermordeten Dima wohlbehalten in London sieht und wenn – aua, wir haben die mit Dima und Perry wichtigste Person des Romans und des Films überhaupt noch nicht vorgestellt: der Geheimdienstler Hector (Damian Lewis), der die Aktion mit Dima einfädelt und vorspiegelt, das Plazet von oben zu haben, was ihm sein Vorgesetzter mit dem Hinweis auf den üblen Innenminister Longrigg verweigert, woran sich Hector aber nicht halten darf, denn dann wäre England und wir alle sowieso längst verloren.

Hector ist also der Gute, der rauszuhauen versucht, was geht, und dem am Schluß auch die antike Waffe von Dima übergeben wird, die dieser vom erschossenen Freund bekam. Er hat sich bisher intern und politisch gegen Longrigg und andere Verräter nicht durchsetzen können, aber dann findet er im Lauf der Waffe….nein, alles müssen wir nicht verraten, nur, daß wir sicher sein können, daß die Schurken der Welt bestraft werden, zumindest die Schurken im Film, aber erst, wenn der Film längst zu Ende ist. Es geht gut aus. Aber die Verluste sind schwer.

PS. : Für den Film ist nicht wichtig, daß im Roman die Schauplätze andere sind, internationaler,  und auch die hier überhaupt nicht erwähnte, im Roman stärker als im Film wichtige Ehefrau/Freundin des Literaturprofessors Perry keine Schwarze ist. Aber dem Film schadet das überhaupt nicht, denn wenn wir ganz ehrlich sind, dann wachsen uns diese Figuren beim Zuschauen auch deshalb so ans Herz, weil sie insgesamt das Personal ausmachen, daß man bei Spinoagethrillern braucht: letzten Endes durchaus Schablone, aber eben zum Wiedererkennen mit vielen individuellen Eigenschaften, die auf jeden Fall Emotionen auslösen. Es ist die Mischung von Vertrautem und Fremden, die John le Carré so wunderbar hinbekommt, die allerdings vor kurzem bei der Verfilmung von THE MOST WANTED MAN andere Tiefen erreichte.

Info:


Der Film wurde schon angekündigt in wpo am 22. April 2016
http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/kino/7054-verraeter-wie-wir

Über den Roman VERRÄTER WIE WIR und das entsprechende Hörbuch erschienen Artikel von Elisabeth Römer und Klaus Hagert

http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/buecher/1076-ein-lebens-und-geheimdiensterfahrener-meister-des-schreibens


http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/buecher/1075-wie-einem-beim-hoeren-das-sehen-vergeht-und-beim-lesen-das-maennlein-im-ohr-erscheint


Elisabeth Römer zum 80sten Geburtstag von John le Carré
http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/buecher/141-der-bessere-deutsche