Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. September 2016, Teil 6
Kirsten Liese
Berlin(Weltexpresso) - Astrid weiß, was sie will. Die Kabarettistin hat sich ihren Traumberuf erfüllt, mit ihrem Freund Markus eine solide Beziehung aufgebaut, eine schicke Neubauwohnung eingerichtet, und das zweite Wunschkind ist unterwegs. Aber dann trübt eine traurige Diagnose das unbeschwerte Leben der jungen Frau.
Das Baby in ihrem Bauch hat das Down-Syndrom. Freunde und Verwandte reagieren verstört, aber Astrid und Markus entscheiden sich dafür, es zu bekommen, bis sich herausstellt, dass es zusätzlich einen schweren Herzfehler hat, der komplizierte Operationen ohne aussichtsreiche Überlebenschancen nach sich ziehen würde.
Inzwischen ist Astrid im sechsten Monat, in diesem Stadium gilt ein Ungeborenes bereits als lebensfähig, deshalb muss dem Fötus beim Schwangerschaftsabbruch eine tödliche Spritze verabreicht werden. Neun von zehn Müttern sollen sich in einem solchen Fall wie Astrid dafür entscheiden. Wiewohl fast die Beziehung zu ihrem Mann daran zerbricht, dass die Künstlerin ihre Meinung revidiert, ist 24 Wochen kein Film, der polarisiert. Allenfalls scheinheilige Lebensschützer mögen für eine verzweifelte Mutter in dieser Situation kein Verständnis aufbringen.
„Das kann einem keiner abnehmen. Und das darf auch keiner verurteilen“, sagt die Hebamme, und damit erübrigt sich jede weitere Diskussion. Was aber, wenn Astrid schon nach der ersten Diagnose kapituliert- und das Austragen eines behinderten Kindes abgelehnt hätte? Wäre sie dann ein schlechterer Mensch?
Regisseurin Anne Zohra Berrached riskiert keine unbequemen, spannenden Fragen, die sie moralisch angreifbar machen könnten, beschränkt sich vielmehr auf ein leidvolles, emotional aufwühlendes, alternativloses Szenario. Die Protagonistin verhält sich geradezu vorbildlich in ihrem sorgfältigen Abwägen, mit all ihren Selbstzweifeln und der Gewissenhaftigkeit ihrer Überlegungen. Ihre Haltung ist menschlich, aber fast eine Spur zu perfekt. Darin freilich liegt ein lehrstückhafter Zug des Films, untermauert noch durch den Ton des politisch Korrekten, wenn etwa verlautet, „Downie“ dürfe man sagen, „Mongo“ nicht.
Dank dokumentarischer Anflüge wirkt der Film immerhin sehr authentisch. Wie in Andreas Dresens Stationendrama Halt auf freier Strecke um einen Krebskranken spielen Ärzte und Psychologen sich selbst.
Auch die Schauspieler sind gut gewählt: Julia Jentsch macht ihre anfangs so selbstbewusste Figur immer stiller und sensibler, bis ihre Dünnhäutigkeit fast körperlich spürbar wird. Gleichzeitig wandelt sich Bjarne Mädel vom servilen Zuarbeiter zum Rebellen, der in der Krise eine neue Rolle als Mann und Familienvater für sich finden muss. Gleichgültig lässt einen das nicht. 24 Wochen ist zwar kein brisanter Beitrag zu einer ethischen Kontroverse, aber ein aufwühlender, unter die Haut gehender Film.
Foto: Julia Jentsch
Info I:
D 2016.
Regie: Anne Zohra Berrached
Darsteller: Julia Jentsch, Bjärne Mädel, Johanna Gastdorf, Emilia Pieske, u.a.
Kamera: Friede Clausz
Laufzeit: 103 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Info II:
Es handelt sich bei 24 WOCHEN des Themas wegen tatsächlich um einen besonderen sehr beachtlichen Film, den Weltexpresso begleitet hatte, von der Aufführung im Wettebewerb der Berlinale bis hin zu verschiedenen Filmpreisen.
Hier der Berlin Bericht
https://www.weltexpresso.de/index.php/kino/6600-24-wochen
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Über die Auffuührung am 4. Oktober im Deutschen Filmmuseum Frankfurt in Anwesenheit der Regisseurin
https://www.weltexpresso.de/index.php/kino/8011-der-oktober-im-deutschen-filmmuseum-frankfurt