Hessischer Film- und Kinopreis am 21. Oktober in der Alten Oper, Teil 5

Sibylla von Suden


Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nicht ganz einfach,die ganzen Preise auseinanderzuhalten, die noch folgende Besonderheit haben, daß um die Schauspielerpreise, die aber vom Fernsehen, also für Fernsehfilme, verliehen werden, viel mehr Bohau gemacht wird, als um die anderen Preise, was schlicht mit den Gesichtern und Namen zu tun hat, denn die Darsteller, die ja nur auf der Arbeit und dem Können der anderen - vom Drehbuch, über Kamera, Schnitt bis zum Film - aufbauen können, sind halt die Werbeträger.

Hessischer Film- und Kinopreis 2016
Frankfurt am Main, Preisverleihung in der Alten Oper Frankfurt am 21. Oktober 2016
Die Preisträger (die Nominierten, aus denen der Preisträger erwählt wurdem finden Sie in den Vorgängerartikeln)


I HESSISCHER FILM- UND KINOPREIS
JURY HESSISCHER FILMPREIS, DREHBUCHPREIS, HOCHSCHULFILMPREIS
Hans Joachim Mendig, Geschäftsführer HessenFilm und Medien (Juryvorsitz) Dennenesch Zoudé, Schauspielerin Christian Bührmann, Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst Prof. Wilhelm Weber, Dekan des Fachbereichs Media, Hochschule Darmstadt Peter Zingler, Drehbuchautor


HESSISCHER FILMPREIS: SPIELFILM
Preisträger: FRITZ LANG
Regie: Gordian Maugg
Preisgeld: 25.000 Euro, Nominierungsgeld: 5.000 Euro
Spielfilm, schwarz-weiß, 104 Minuten, Deutschland 2015


Eine Produktion von Belle Epoque Films GmbH in Koproduktion mit Gordian Maugg Film- und Fernsehproduktionen in Zusammenarbeit mit dem ZDF und arte
Buch: Alexander Häusser, Gordian Maugg, Produzentin: Nicole Ringhut, Kamera: Lutz Reitemeier, Moritz Anton, Ton: Peter Schumacher, Schnitt: Florentine Bruck, Olivia Retzer, Musik: Tobias Wagner
Darsteller: Heino Ferch, Thomas Thieme, Samuel Finzi, Johanna Gastdorf, Lisa Charlotte Friedrich


Jurybegründung:
Ein Spielfilm über die Regielegende Fritz Lang – das ist in Anbetracht seines sagenhaften Talents und seiner durchaus dramatischen Lebensgeschichte während politisch und sozial sich drastisch verändernder Zeiten kein leichtes Unterfangen. Es braucht Mut und Erfahrung, sich dieses zuzutrauen.
Gordian Maugg („Der Olympische Sommer“) hat es sich zugetraut. Stets auf der Suche nach der perfekten filmischen Form, sieht er diese in der Verschmelzung von Schauspielszenen und fiktionalem sowie dokumentarischem Archivmaterial.

Geschickt verbindet er Biographisches mit narrativer Adaption der „Langschen Handschrift“. So entsteht ein ergreifendes Porträt über Fritz Lang mit Focus auf die ihn zeitlebens antreibenden Fragen nach dem Guten und dem Bösen, dem inneren Dämon eines Jeden und der Schuld.^
Ausgehend von realen Personen und tatsächlichen Ereignissen ist der Film ein packendes historisches Zeitdokument das Gordian Maugg mit fiktionalen Szenen und emotionaler Dichte lebendig macht.


Auf der Suche nach einem passenden Stoff für seinen ersten Tonfilm „M“ reist der Star-Regisseur der 20er und 30er Jahre, verkörpert von Heino Ferch, von Berlin nach Düsseldorf, um dort die Ermittlungsmethoden eines angesehenen Kriminalrates im Fall des brutalen Serienmörders Kürten kennenzulernen. Er erhält die einmalige Gelegenheit, sich in einem Tête-à-Tête Einblick in die Psyche des Mörders zu verschaffen und gerät dabei selbst in einen Strudel persönlich unverarbeiteter Erinnerungen. Wie einst Fritz Langs Geschichten versetzt uns der Film in zutiefst irritierende menschliche Abgründe, auch vor dem Hintergrund des beginnenden Faschismus.


Dies wird filmtechnisch auf hohem Niveau und in Anlehnung an Langs Filme in atmosphärisch passender Schwarz-Weiß-Optik umgesetzt: Das Ergebnis ist eine ästhetisch gelungene Collage von fiktionalen Schauspielszenen und historischem Archivmaterial. Letztlich ist es der bemerkenswerte Schnitt, welcher neben der historisch anmutenden darstellerischen Leistung des Schauspielensembles diesen biographischen Essay erzählt.
Gordian Mauggs Film über Fritz Lang ist ein furioses Kunstwerk über einen großen, nicht unumstrittenen Künstler.
Deswegen zeichnet die Jury in der Kategorie Spielfilm „Fritz Lang“ mit dem Hessischen Spielfilmpreis 2016 aus.

 


HESSISCHER FILMPREIS: DOKUMENTARFILM
Preisträger: GHOSTLAND – THE VIEW OF THE JU/‘HOANSI
Regie: Simon Stadler, Catenia Lermer
Preisgeld: 15.000 Euro, Nominierungsgeld: 5.000 Euro
Dokumentarfilm, Farbe, 85 Minuten, Deutschland 2016
Eine Produktion von Cameleon Film
Buch: ohne, Produzent: Simon Stadler, Kamera: Simon Stadler, Ton: Catenia Lermer, Schnitt: Andre Broecher, Markus Frohnhöfer. Musik: Matthias Raue
Mitwirkende: Ju/’Hoansi (San) aus Namibia


Jurybegründung:
Unter den Einreichungen für den Hessischen Filmpreis waren einzelne Filme, die Fragen wie „Was ist Heimat?“ und „Wo will ich leben?“ zu beantworten versuchen.
„Ghostland – the view of the Ju/‘Hoansi“ von Simon Stadler und Catenia Lermer widmet sich diesem Thema auf eine erfrischend originelle Art und Weise. Der Zuschauer wird von vier Bewohnern der Kalahari, die Ju/'Hoansi-San, eine der ältesten Jäger- und Sammlerkulturen, mit auf eine Reise nach Europa, eine für sie unbekannte, moderne Welt, genommen.


Das spürbar lebendige Wesen der Hauptdarsteller, die hier von der Touristenattraktion selbst zum Touristen werden, sowie ihre forschergleiche Neugier finden dabei schnell die Aufmerksamkeit der Zuschauer und lassen sie bis zum Ende nicht mehr los. Sie halten ihm mit ihrer berührenden Authentizität einen Spiegel vor, ohne dass der Film belehrend sein will.


Die in Frankfurt lebenden Regisseure reisten für ihren Dokumentarfilm ohne großes Budget und als Teil eines dreiköpfigen Teams in die afrikanische Wüste. Simon Stadler, der als Regisseur auch für die Kamera verantwortlich zeichnete, liefert unverfälschte, schöne Bilder vom Leben der Ju/‘Hoansi in der Kalahari-Wüste, ihren Eindrücken und Erfahrungen in der modernen Welt und von ihren Gedanken und Gefühlen, die sie in Interviewsequenzen schildern. Die Erkenntnis der Ju/'Hoansi-San, dass das Leben in der Heimat immer noch am schönsten ist, hat auf den Zuschauer eine nachhaltige Wirkung und regt zur Reflektion an.


Deswegen zeichnet die Jury in der Kategorie Dokumentarfilm „Ghostland – the view of the Ju/‘Hoansi“ mit dem Hessischen Dokumentarfilmpreis 2016 aus.

 


HESSISCHER FILMPREIS: KURZFILM
Preisträger: SHIPS PASSING IN THE NIGHT
Regie: Elisabeth Zwimpfer
Preisgeld: 5.000 Euro
Kurzfilm, Animationsfilm, Farbe, 12 Minuten, Deutschland 2015
Buch, Produzentin, Animation, Schnitt: Elisabeth Zwimpfer, Ton: Tobias Böhm, Christian Wittmoser, Musik: Kanté Manfila & Balla Kalla, Julia Kotowski
Stimmen: Napo Oubo-Gbati, Maike Koller, Girmay Asefaw, Gaetano Maruccia, Edgard Sueyem, Freweini Yauhannes, Helen Alem, Habtom Gebremichal, Nadim Natour u.a.

 


Jurybegründung:
„Like Ships Passing in the Night“ ist eine englische Redewendung, die eine kurze, zufällige, vielleicht nie mehr wiederkehrende Begegnung zweier Menschen symbolisiert.
Der Kurz-Animationsfilm „Ships Passing in the Night“ der jungen Filmemacherin Elisabeth Zwimpfer erzählt diese Geschichte und bereichert sie um die Komponenten Angst, Flucht, Willkür und Zuneigung (Liebe): Der Fischer Pombalo flüchtet von Afrika über das Meer, als seine Netze leer bleiben und trifft an der europäischen Küste auf Maleika, die dort Strandgut sammelt. Sie sind wie Schiffe, die sich kurz begegnen und wieder in der Weite verlieren.
Grundlage für diesen poetischen Kurzfilm sind Zeichnungen afrikanischer Flüchtlinge, die die Regisseurin während ihrer Recherche befragt hatte. Diese Zeichnungen verwandelte sie in eine ausdrucksvolle und papierschnittartige Zeichentricktechnik und verzichtete dabei bewusst auf einen zeitgenössischen und gefälligen Grafikstil. Ihre Bildsprache ist roh und kantig, Flächen bestehen aus erdigen Farbtönen und Texturen, die durchgehend vereinfacht und sehr strukturiert bleiben.
Der sehr direkte Ton, das Voicing, die Hintergrundgeräusche und die melodische Musik verstärken die ästhetische Atmosphäre.
Gerade diese Ästhetik in Kombination mit dem aktuellen Thema, macht den Kurzfilm in der Wirkung so direkt und ehrlich – und einzigartig.
Deswegen zeichnet die Jury in der Kategorie Kurzfilm „Ships passing in the Night“ mit dem Hessischen Kurzfilmpreis 2016 aus.



HESSISCHER HOCHSCHULFILMPREIS
Preisträger: NÄCHSTENLIEBE
Regie: Simon Pilarski
Preisgeld: 7.500 Euro
Spielfilm, Farbe, 22 Minuten, Deutschland 2015
Buch, Produktion, Schnitt, Szenenbild: Simon Pilarski, Herstellungsleitung: Johannes Höffler, Kamera: Nico Nonne, Ton: Peter Lange, Musik: Sergios Roth
Darsteller: Rainer Wagner, Oskar Keymer, Alexander Bettendorf, Christoph Stein, Johannes Schedl, Frederic Heidorn, Christian Stotz, Michael Altmann, Ute Ehrenfels, Sana Guillera


Jurybegründung:
„An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Lev 19,18)
So wird das Gebot „Nächstenliebe“ in der Tora beschrieben, das Simon Pilarski, Absolvent des Fachbereichs Filmproduktion der Hochschule Darmstadt, zum Gegenstand seines Abschlussfilms macht. Dabei zeigt er, dass die Nächstenliebe bisweilen missverstanden und im schlimmsten Falle auch missbraucht wird.
Sein 22-minütiger Kurzfilm setzt im Jahre 1889 ein. Der junge Müllerssohn Lukas, dessen strenger Vater ihm seinen sehnlichsten Wunsch, nur einen Tag lang das Dorf zu verlassen, verbietet, vertraut sich dem Pfarrer an. Von ihm erfährt er von einem geheimen Kloster in den Bergen. Jahre später macht sich Lukas, nun ein junger Mann, mit drei Gefährten auf den Weg dorthin. Schnell erkennen sie, dass dies ein Ort voller Tücken und Gefahren ist und Lukas ist gezwungen, sich einem furchtbaren Dämon zu stellen. Selbst als erwachsener Mann wird er diesen nicht los.
Der junge Regisseur, der 1990 in Wiesbaden geboren wurde, widmet sich dem Thema Kindesmissbrauch in der Kirche mit kleinen, kurzen, zum Teil abstrakten Andeutungen, ohne den eigentlichen Akt darzustellen. Dies verleiht dem Kurzfilm spannende Momente, die durch gut gewählte Schauplätze, eine insgesamt dunkle und kalte Atmosphäre sowie durch sehr professionellen Schnitt unterstützt werden. Die Vielschichtigkeit des Themas wird in den drei Erzählebenen des Plots aufgegriffen, wobei ihm auch hier die filmtechnischen Übergänge und die inhaltliche Verknüpfung trotz Mehrfachbesetzung des Protagonisten sehr gut gelingen. Schließlich verleiht Simon Pilarski seinem Film mit auf die Szenen perfekt abgestimmter Musik die Krönung, so dass der Zuschauer bis unter die Haut ergriffen ist.


Deswegen zeichnet die Jury in der Kategorie Hochschulfilm „Nächstenliebe“ mit dem Hessischen Hochschulfilmpreis 2016 aus.

 


HESSISCHER DREHBUCHPREIS
Preisträger: HERR KLEE UND HERR FELD
Autor: Michel Bergmann
Preisgeld: 7.500 Euro
Laudatio: Feo Aladag
Jurybegründung:
Wenn man beim Lesen eines Drehbuchs den fertigen Film bereits vor Augen hat und sich freut die filmische Realisierung bald auf der Leinwand sehen zu können, dann ist es wohl ein sehr gelungenes Drehbuch. Dass der Autor Michel Bergmann das Schreiben beherrscht, ist unumstritten, und dass er mit seinem Drehbuch „Herr Klee und Herr Feld“ die Jury überzeugen konnte, liegt vielleicht auch daran, dass er schon mit seinem gleichnamigen Roman, der im Jahre 2013 erschien und seine Trilogie über jüdisches Leben in Deutschland beschließt, das Lesepublikum begeisterte. Was ist also das Geheimnis?


Es sind die liebenswerten Figuren und die vielen gegensätzlichen Motive, mit denen die Story gespickt ist und die der Autor mit seinem Talent für detaillierte Beobachtung schildert: Die beiden Hauptfiguren, ein emeritierter Professor der Sozialpsychologie und ein mittelloser Schauspieler, beide jenseits der Sechzig, verbringen ihren Lebensabend gemeinsam in einer Villa im Frankfurter Westend. Die unterschiedlichen Charaktere befinden sich quasi im Dauerzwist, der, als unverhofft eine junge, sympathische Frau in ihr Leben tritt, weiter angefeuert wird. Hier treffen nicht nur Jung und Alt aufeinander, sondern Araberin und Juden – das noble Frankfurter Viertel wird zum Schauplatz des Nahost-Konflikts. Die Dialoge zwischen den Protagonisten sind lebendig und unterhaltsam, wobei auch melancholische Momente, z. B. wenn den beiden Herren die Unaufhaltsamkeit des Alters bewusst wird, nicht fehlen.


Trotz aller Gegensätze verbringen die Figuren eine wundervolle Zeit, denn eines verbindet sie und lässt alle Grenzen vergessen: die Musik. Dass die konfliktbeladene Story am Ende mit einem glücklichen Ausgang aufwartet, dürfte das Arthouse-Publikum 40+ freuen, denn wer verlässt den Kinosaal nicht gerne mit einem Lächeln auf den Lippen und einem wohligen Gefühl im Bauch.


Michel Bergman, der selbst Jude ist und seine Jugend in Frankfurt verbracht hat, verarbeitet viel von seinen eigenen Erfahrungen und das merkt man der Story auch an. Mit viel Herzblut hat er ein formal wie inhaltlich überzeugendes Drehbuch abgeliefert und konnte die Jury auf ganzer Länge überzeugen. Nach dem Lesepublikum soll ihm ein begeistertes Filmpublikum beschert sein.


Deswegen zeichnet die Jury in der Kategorie Drehbuch „Herr Klee und Herr Feld“ mit dem Hessischen Drehbuchpreis 2016 aus.

 

Bisherige Artikel zum diesjährigen Hessischen Filmpreis

https://weltexpresso.de/index.php/kino/8190-ehrenpreis-des-hessischen-ministerpraesidenten-fuer-klaus-maria-brandauer

https://weltexpresso.de/index.php/kino/8194-der-hessische-filmpreis

https://weltexpresso.de/index.php/kino/8195-der-hessische-fernsehpreis

 

 Foto: Die alte Oper hätte auch einen Preis verdient, so schön kann man in ihr feiern (c) Alte Oper