Hanswerner Kruse & Hannah Wölfel
Venedig (Weltexpresso) - Täglich kamen wir im Arsenale an endlos lange Schlangen vor dem italienischen Pavillon vorbei, in die wir uns aber nicht einreihen wollten.
Die Kunstkritiker waren begeistert von der Authentizität der riesigen Installation in den alten Werfthallen, originalgetreu wurde darin eine alte Fabrik im Stil der 1960er Jahre aufgebaut und rekonstruiert. Als wir dann irgendwann, kurz vor der abendlichen Schließung, ohne lange Warterei in die Fabrik schlüpfen durften, hatte ich eigentlich sofort genug.
Gleich hinter dem Eingang hing eine Stechuhr, mit der man früher seine Arbeitszeit kontrollieren lassen musste. Die kannte ich aus den frühen 1960er Jahren, in denen ich eine gruselige und entwürdigende Feinmechanikerlehre in einer Fabrik für Zeichenmaschinen durchmachen musste. Solch eine Zeichenmaschine stand auch in einem „Büro“ der künstlichen Nähfabrik, in der ansonsten alles andere ebenfalls wie früher war - aber niemand mehr arbeitete. Ähnlich mies fühlte ich mich vor einigen Jahren auf der Berlinale, wo sich alles um den Gabelstapler in dem Liebesfilm „In den Gängen“ drehte: Es scheint so, dass gerade Presseleute, Politiker oder Deutschlehrer ein riesiges Interesse an der Echtheit des Lebens haben und sich das auch gerne anschauen, weil es wahrscheinlich meilenweit von ihrer Realität entfernt ist. Ich dagegen spürte im australischen Pavillon in den Giardini eher mein Lebensgefühl aus den 1960er Jahren.
Der australische Beitrag besteht aus riesigen, aggressiv wirkenden, teils abstrakten, teils kriegerischen Lichtbildern, die ununterbrochen von dröhnenden schmerzhaften Gitarrenklängen live begleitet werden. 200 Tage lang will der Musiker Marco Fusinato seine „Desastres“ (Katastrophen) hier täglich zelebrieren. Nach einige Minuten fuhren mir die „Katastrophen“ in den Bauch, mir wurde schlecht und ich musste rausgehen. Sicherlich wollte der Gitarrist nicht meine Vergangenheit mit verzerrten Klängen auferstehen lassen (es war auch die Zeit als der Free Jazz entstand oder Jimi Hendrix die US-amerikanische Nationalhymne zerfetzte), sondern eher die Gegenwart paraphrasieren.
Auch der französische Pavillon wurde, ähnlich wie der italienische, sehr nostalgisch umgestaltet. Man betritt ein Lokal der 1970er Jahre, die Instrumente einer Beat-Band stehen auf einem Podest, ein kleines analoges Filmstudio ist aufgebaut (Foto), neben Stapeln von Filmrollen steht ein altmodischer Schneidetisch. Es gibt ein plüschig-spießiges Wohnzimmer, in einem Nebenraum steht ein hölzerner Sarg bereit... Aber Menschen gibt es ebensowenig wie in der Nähfabrik. „Träume haben keine Namen“, lautet der übersetzte Titel dieser nicht besonders überzeugenden Installation.
Interessanter schon eher der griechische Pavillon, in der man in einer virtuellen Welt den blinden König Ödipus auf einem heutigen Müllplatz erleben kann. Die Türkin, die mit kleinen Drahtfiguren poetische oder makabre Geschichten erzählt. Im venezolanischen Pavillon großartige naive Malereien, die mit Fotos von aktuellen Straßenschlachten konfrontiert werden. Korea, Südkorea natürlich, zeigt mit mehreren Skulpturen was es der Elektronik drauf hat. Vor dem Schweizer Pavillon Verrottetes und Verbranntes, drinnen ein Tunnel mit flackerndem Licht, der einen für kurze Zeit in eine faszinierend andere Welt entführt (Foto).
Fotos:
(c) Hanswerner Kruse
Info:
Die 59. Biennale dauert noch bis zum 27. November 2022.
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Bisherige Berichte:
Zum fünften Teil:
Zum vierten Teil:
Zum dritten Teil
Zum zweiten Teil
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