Zum 27. Januar, dem Denk- und Gedenktag an die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtung, Verbrennung, Ermordung und ihrer Befreiung durch die Rote Armee, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie oft noch? Das kann man sich nicht nur ob unserer heutigen Artikelflut fragen– es kommen noch viel mehr! -, sondern fragt sich dies in seinem eigenen Leben. Wie oft noch Auschwitz und die Naziverbrechen? Darauf habe ich schon lange eine Antwort. Zumindest so lange, wie andere vergessen wollen, aber auch, bis ich diese Verbrechen verstehen lerne, sie begreifen kann, wie man Mitbürger aus ihren Wohnungen zerrte, sie in sogenannte Arbeitslager deportierte, was Mordfabriken waren, ihr Eigentum unter sich aufteilte und dann tat, als sei nichts geschehen.

 

Ich habe mich lebenslang redlich bemüht. Bemüht, zu verstehen, Motive begreifen zu können, aus welchen Gefühls- und sozialen Lagen heraus beispielsweise hier in Frankfurt, wo das jüdische Bürgertum eine verwurzelte Basis hatte, sich ein Mob zusammentat und im Auftrag von oben, aber besonders gerne aus inneren Gefühlen, sich anmaßte, anderes Leben als nicht lebenswert zu bezeichnen und zu vernichten nach dem Grimmschen Motto: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, sprich Gaskammern.

 

Wer, wie ich damit aufgewachsen ist, sich diese Frage zu stellen, der wird sie ein Leben lang nicht beantworten können, aber er muß einfach weiterfragen, wie so etwas möglich ist, der eiskalte KZ-Obere und Mörder, der abends seiner Familie am Klavier ganz inniglich Bach vorspielt. Wie geht das in Eins, wie kann ein Mensch so sein, so leben – und was sagen die anderen dazu? Und wenn schon diese zentrale Frage keine Antwort findet, so kamen in all den Jahren zusätzlich so viele andere Dinge, Fragestellungen, Informationen hinzu, die die Beschäftigung mit Auschwitz immer wieder neu entfachen ... sogar wie diesmal mit einem Lachen, das auch.

 

So zeigte das 21. Filmfestival Verso Sud in Frankfurt im Dezember DIE ATEMPAUSE, einen Film vom jüngst verstorbenen italienischen Regisseur Francesco Rosi über die Rückkehr von überlebenden Italienern aus dem KZ Auschwitz, der direkt mit den Befreiungsbildern anfängt. Es geht um Primo Levi, der sein Überleben von Auschwitz niederschreiben mußte, was ihm persönlich nicht ersparte, später den Freitod zu wählen. Was heißt schon 'wählen'? Denn das Überleben ist für manche Auschwitzbefreiten unerträglich geworden, weil die Frage: „Warum ich?“ nicht meint: „Warum wurde ich ausgewählt fürs Sterben“, sondern: „Warum durfte ich überleben, der andere nicht“ , für besonders Verantwortliche und Sensible direkt in den Tod führt.

 

Levis Darstellung „ist uns als IST DAS EIN MENSCH? - original 1947, erst 1961 auf Deutsch - als autobiographischer Bericht unter die Haut gegangen. LA TREGUA wurde 1963 veröffentlicht und ein Jahr drauf in Deutschland publiziert. Es geht dabei um die monatelange Odyssee Levis, die der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee 1945 folgte, und die im Gegensatz zu den tiefverstörenden Bildern von Auschwitz im Buch von Levi und auch im Film von Rosi eben auch eine heitere, eine zutiefst menschliche Note hat, die Buch und Film einreiht in das, was man Menschliche Komödie nennt und tatsächlich eine Sittengeschichte der Zeit und der jeweiligen Nationalcharaktere wird. Hinreißend. Urkomisch und gleichzeitig tiefer Ernst.“

 

 

Italiener sind nämlich durchaus noch die alten Feinde der Russen und gleichzeitig schon die neuen Freunde, die sich rechtzeitig von den Deutschen abgesetzt haben, denen man aber als Russe nicht so ganz traut. Die zweischneidigen Gefühle werden in herrlich komponierten Soldaten- und Kasernierungsszenen lebendig, wie der ganze Film die Bandbreite menschlicher Empfindungen, auch deren Hin und Her sinnlich erleben läßt.

 

Neben der Kameradschaft, der Freundschaft, die einige der Italiener in der Not untereinander geschlossen haben – wir verfolgen die von Primo und Daniele, der am Schluß wieder zur Gruppe der heimwärtsstrebenden Italiener stößt –, setzt die von mir postulierte Heiterkeit erst einmal mit dem Griechen (Rade Šerbedžija) ein, der als geborener Überlebenskünstler diesen leicht weltfremd- intellektuellen Levi für sich einspannt, ihm dafür Essen und Sicherheit gibt, und ein überzeugender Zurechtkommer ist, der sich als erstes einen Harem von Frauen zulegt, die alle für ihn anschaffen gehen. Das Bordell als Zuflucht, denn frei sein, bedeutet auch, wieder Mann sein zu dürfen. Und verdienen kann man auch daran.

 

Das schrieben wir zu diesem verschwenderisch menschlichen Film, wo einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Vor uns liegt DIE TÄNZERIN VON AUSCHWITZ. Die Geschichte einer unbeugsamen Frau aus dem Aufbau Verlag. Auschwitz und Tanzen? Auschwitz und Singen? Auschwitz und Freudenhaus? Auch das und wer meint, es gäbe in Literatur und Film eine Auschwitzindustrie, dem kann man nur antworten, daß es auf solche massenhaften Verbrechen eben auch sehr viele Antworten gibt, geben muß, geben soll und weiter geben wird.

 

 

Info:

 

Wenn Sie Filme und Dokumantationen über das Dritte Reich, Judenverfolgung und Massenmord suchen, schauen Sie als Erstes bei absolut Medien nach!! Für seinen berühmten Film SHOA hatte Claude Lanzmann ein langes Interview mit Benjamin Murmelstein geführt, der der einzige überlebende 'Judenälteste' und letzte Vorsitzender des Judenrats aus dem Ghetto Theresienstadt ist. Das Interview ist so lange, daß es in der damaligen Konzeption des Films einfach keinen Platz fand, weshalb Lanzmann es nun nach 30 Jahren als eigenen Film vorlegt. Wen die Geschichte der österreichischen Juden besonders interessiert, der muß sich den Film DER LETZTE DER UNGERECHTEN einfach anschauen, der im Mai 2015 auf DVD in Farbe und mit 210 Minuten herauskam.

 

Von den gegenwärtigen Spielfilmen zu Fritz Bauer raten wir eher ab. Aber zwei Filme gehören ins Grundrepertoire, wenn es um Auschwitz, die gerichtliche Aufarbeitung sowie Bauer geht. Ilona Zioks profunder Film FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN, 2010 auf der Berlinale uraufgeführt und seitdem Kassenschlager auf der ganzen Welt und die ebenfalls bei absolut Medien erschienenen DVDs vom Fritz Bauer Institut: Fritz Bauer: Gespräche, Interviews und Reden aus den Fernseharchiven 1961-1968. Abgesehen von dem tiefen Eindruck, den Fritz Bauer auch heute noch durch seine spürbare Menschlichkeit macht, sein Interesse am sozialen Lernen der neuen Generation, seinen Blick nach vorne auf eine bessere Gesellschaft, die nur möglich ist, wenn man mit dem alten Mist aufräumt, sind diese Zeitdokumente von so hohem kulturgeschichtlichen Wert, das wir diese beiden DVDs für etwas ganz Besonderes halten. Der Einzug der Medien in die Steinzeit in gewissem Sinn.

 

 

 

Die ausführliche Besprechung des Films über Levi: DIE ATEMPAUSE in Weltexpresso

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6073:der-letzte-film-von-francesco-rosi-dem-die-hommage-gilt&catid=79&Itemid=471

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6074:die-atempause&catid=79&Itemid=471