744656 1 teaserlarge siemens mitarbeiter beim protestmarsch foto arifoto ug michael reichel dpa archiv 65c5fde0ebb17bcaDie Streichpläne von Siemens gleichen einem alten Muster, sie erfüllen nur, was die neoliberale Wende propagiert hat  Teil 1/4

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Titel geht auf eine Formel der Neunziger Jahre zurück. Was macht das Kapital so gern? Es hüpft dahin fort, wo die größte Blase lockt, nicht dorthin, wo wertschöpfend geschaffen wird. Das hat mittlerweile eine lange Tradition.


Siemens ist immer das Paradebeispiel gewesen, es repräsentiert den Fall der Fälle. Die Hiobsbotschaft, die Siemens kürzlich aussendete, war zu erwarten. Die Parole ‚Das Kapital ist ein scheues Reh‘ war die beständige Phrase der FDP-Agitation der Neunziger Jahre, sie sollte die Leute pausenlos einschüchtern, um den aufsteigenden Finanzgebilden der Ökonomie die Schneise zu schlagen. Es ging längst nicht mehr um eine seriös gehandhabte Wertschöpfung, sondern die Steigerung der Kapitalrendite stand zunehmend im Zentrum der Geschäftspolitik.

Meldungen der vergangenen Jahre zum Fall Siemens

  • „INDUSTRIE STREICHT MEHR ALS 130 000 JOBS“: „Die Industrie in Deutschland baut trotz steigender Aufträge und Produktion Stellen ab. Im Juni waren 2,7 % weniger Menschen... beschäftigt... als vor einem Jahr“ (FR 17.06.2010)
  • „KONZERNE KÜRZEN“: „Die größten deutschen Konzerne haben 2009 zusammen 85 000 Jobs abgebaut“ (FR vom 27.03.2010)

  •  SIEMENS: „Abbau von 5000 Stellen zur Renditemaximierung“ (FR 20.02.1013)

  • „Siemens-Chef Kaeser stellt 11 600 Jobs zur Disposition“ (FR 31.05.2014)

  • „Siemens streicht offenbar 7400 Jobs“ (FR 06.02.2015)

 

Und nun: der Kahlschlag

„KAHLSCHLAG BEI SIEMENS: Konzernchef Joe Kaeser will allein in Deutschland 3500 Stellen abbauen und zwei Standorte schließen“, titelte die FR (17.11.2017). Siemens offenbart sich als Finanzheuschrecke, die schon seit Jahren durch die Gesellschaft schwärt, ohne ein Konzept für künftige Zeiten zu haben. „Wut bei Siemens“, titelte ein Beitrag von Frontal21 (30.11.2017) und ließ ansagen: „Siemens streicht über 3000 Jobs in Deutschland, will gleich mehrere Standorte schließen – trotz 6,2 Mrd. Euro Reingewinn (nach Steuern)“ - und obgleich Joe Kaeser kurz zuvor verkündet hatte: „Wachstum hält an“ (09.11.2017).

Die Streichpläne werden mit dem strukturellen Markteinbruch bei Großturbinen auf dem weltweiten Kraftwerksmarkt gerechtfertigt. Es hängen jedoch nur drei Standorte an der Großturbinentechnik, die Oststandorte eben nicht. Dazu muss man wissen, dass Siemens aufgrund Managementversagen den Umbruch von der fossilen und atomaren Kraftwerkstechnik zur Solar- und Windtechnik vertrödelt hat. Denn es widerspricht dem Renditeprinzip in die Zukunft zu planen. Ähnlich spielte es sich zuvor mit der klassischen Telefonsparte ab, an ihr wurde viel zu lange festgehalten.

Die zur Disposition stehenden Standorte sind: Berlin, Leipzig, Mühlheim/Ruhr, Erfurt, Offenbach und Görlitz mit insgesamt 3500 Arbeitsplätzen. Offenbach, Erlangen und Wien sollen in Franken gebündelt werden. Neben Görlitz soll auch Leipzig dichtgemacht werden; doch es stellt gar keine Gasturbinen her, sondern Verdichter, hauptsächlich für die chemische Industrie. „Die Überstundenanträge stapeln sich auf meinem Schreibtisch“ - „die Überstundenkonten quellen über und wir sind alle an der Belastungsgrenze“, so meldet Thomas Clauß, der Betriebsratsvorsitzende von Leipzig. Und weiter noch: „Wir haben volle Auftragsbücher bis Weihnachten, bis ins nächste Jahr hinein.“

Wie schaut es mit den Zulieferern aus? Dort fragt Frontal21 beim KSC Kraftwerksservice Cottbus Anlagenbau, dem Zulieferer für Görlitz, an: „Verstehen Sie eigentlich, was da passiert und warum?“ – „So richtig und wirklich nicht“, lautet die offizielle Antwort. Denn Siemens bedient mit Görlitz eine Sparte, die Industrieturbinen für kleinere Energieerzeugungsanlagen herstellt. „Und da geht ja letztendlich der Trend hin“, so betont man von offizieller Seite.

Frontal21 fragt: „Warum also ausgelastete, profitable Werke schließen?“ – Die Antwort sei einfach und laute: Rendite! Frontal21 zieht den Schluss: „Und da ist laut Siemens die Sparte Power & Gas angeblich ein Problem: die Ergebnismarge sank zuletzt auf 8,3 Prozent. 8,3 Prozent, darüber wäre manch ein Dax-Konzern froh.“- „Siemens reicht das aber nicht. Siemens will mehr“. Und weiter: „Je mehr Rendite, desto höher der Bonus für den Vorstand.“

Die Frank-Plasberg-Sendung zu Siemens vom 11.12.2017 ergab, dass sogar Vertreter der Wirtschaftsseite das geplante Vorgehen von Siemens für hochproblematisch halten. Alle Vertreter der Wirtschaft, die sonst immer eisern zu ihr stehen, waren sich darin einig, dass ein Verhaltenskodex gebrochen wird, wenn Siemens im Osten Deutschlands die wichtigsten Werke dichtmacht.

Die Industriekonzerne hoben das Projekt: Umbau zum Finanzkonzern, aufs Schild

Mit dieser Praxis verbindet sich der Plan einer groß angelegten Umverteilung von Geld und Macht nach oben, mit der Folge, dass die Blasenökonomie immer weiter aufgepumpt wird und immer weniger Spieler immer mächtiger und reicher werden. Für die Staaten folgt daraus: Die öffentlichen Haushalte bleiben chronisch im Defizit, die Steuereinnahmen bleiben hinter den Anforderungen zurück. Die sozialen Sicherungssysteme sind chronisch unterfinanziert, Investitionen unterbleiben. Die Exportweltmeisternation verlegte sich aufs Lohndumping der Eigenen, die Verschuldung der Anderen. Der Arbeitsmarkt des Exportweltmeisters gibt ein sonderbares Bild ab: „Entstehung atypischer Beschäftigungsverhältnisse...eine der Hauptursachen für die Entstehung neuer Arbeitsplätze...vor allem im Niedriglohnbereich“ (FR 29.10.2010). Damit exportierte die Exportweltmeisternation die Arbeitslosigkeit ins Ausland.

Hinter der Umbaumaxime bleckt die ungebremst vorangetriebene Börsenkapitalisierung. Rendite ist alles, der Mensch ist nichts. Überall fehlt Geld: für Bildung, für Infrastruktur, für die Finanzierung öffentlicher Leistungen, für die Menschheitsaufgaben im Umweltbereich. 5 Euro Hartz IV-Erhöhung pro Jahr bleibt ein Skandal, den die Politik Jahr für Jahr fortsetzt, obwohl im Finanzkollaps die Billionen von Privat nur so versenkt wurden. Diese Mittel fehlen jetzt dem Staat.

Sozialstaatsdebatte, Arbeitsmarkt, Finanzmarkt - Firmen

Wohin treibt die Wirtschaft? – Die Finanzmärkte rissen seit Beginn der Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Handlungsmacht immer mehr an sich, trieben den ‚Tanz der Geier‘ (Doku von 2012/Frankreich/Finnland) voran. Die Politik hat dem entsprochen. Sie lässt sich vom Finanzkapitalismus der Wetten, der Gesellschaften zerstört, seit Jahren zum Narren halten und sich vor ihm hertreiben.

Das brennende Thema ist nicht Sozialstaatspolitik. Diese räumt lediglich einer verfehlten Wirtschaftspolitik hinterher. Über zwanzig Jahre ist die Politik den börsennotierten Industrie-Konzernen hinterhergerobbt, hat ihnen das zerstörerische Projekt der „Kopfzahl-Paranoia“ *) (=perfider Personalabbau), der Kostensenkungs-Manie (als Erfolgskriterium und Meilenstein!) sowie der Abwendung von Qualität und Kundenorientierung unterstützt. Wenn heute die Digitalisierung beschworen wird, ändert das gar nichts, solange die Macht der apokalyptischen Reiter (nach Precht) wie Apple, Amazon, Facebook, Microsoft und anderer anwächst. Mit diesen tritt ein weiterer Moloch auf den Plan.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto: Michael Reiche, dpa-Archiv

Info:
*) Katharina Weinberger, 'Kopfzahl-Paranoia, Von der Selbstzerstörung der Konzerne', 2009

Info:
Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO:

1. Das Kapital ist ein scheues Reh
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11731-das-kapital-ist-ein-scheues-reh
2. Politikversagen mit Bauernlegen
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11732-politikversagen-mit-bauernlegen
3. Gefahr droht vom Geldcasino
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11733-gefahr-droht-vom-geldcasino
4. Eliteversagen
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11734-eliteversagen