KrimiZEIT-Bestenliste: Die zehn besten Kriminalromane des Jahres 2013
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Schon einmal erhielt Patrícia Melo den Deutschen Krimipreis. Das war 1998 für O Matador. In Brasilien ist sie eine literarische Größe. Sie erhielt den bedeutendsten Literaturpreis des Landes für Inferno. Auf der Frankfurter Buchmesse 2013 wurde Leichendieb, der monatelang die KrimiZeit-Bestenliste anführte, mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet.
Das ist der Preis, der seit vielen Jahren zur Buchmessenzeit einer Schriftstellerin aus der Dritten Welt auszeichnet, weil die Dritte Welt eh Unterstützung braucht, deren Schriftstellerinnen aber erst recht.. Zur feierlichen Preisübergabe war die Autorin am Buchmessensamstag erschienen und es wurde eine rundherum schöne Veranstaltung.
Leichendieb ist eine moralische Groteske. Der namenlose Icherzähler verstrickt sich immer tiefer ins Verbrechen, während seine Rechtfertigungen dafür immer fadenscheiniger werden. Dieser Antiheld ist der Mitläufer par excellence: Nie ist er verantwortlich für das, was er tut. Stilistisch scharf zugespitztes Porträt, zugleich sehr spannend. Sie können die ausführlicheren Besprechungen in unseren Kommentierungen zu den KrimiZeit-Bestenlisten vom Sommer nachlesen. (Original 2010: Ladrão de Cadáveres)
Friedrich Ani: M aus dem Droemer Verlag ist Jahreszweiter führt derzeit die Bestenliste an. Darum erfahren Sie in den letzten Artikeln auch sehr viel Ausführliches über dieses Buch. Schon lange hat Friedrich Ani seinen Tabor Süden am Wickel und viele Kriminalfälle, die er klärt, literarisch verfolgt. Nachdem er den Polizeidienst in München quittiert hatte und in die Detektei Liebergesell eintrat, wurden die Fälle sozusagen privater, waren aber immer in der Ursuppe Bayerns angesiedelt. Die wird diesmal dunkelbraun, denn Ani läßt seine Helden in eine katastrophische Konfrontation mit der völlig aus dem Ruder laufenden Münchner/bayerischen Naziszene schlittern. Aufregend und angesichts dessen, was in München zu den NSU-Verfahren läuft, hochaktuell..
Den dritten Platz eroberte Warren Ellis: Gun Machine aus dem Heyne Verlag. Gun Machine ist eine der wenigen ästhetisch und inhaltlich überzeugenden Serienkiller-Novels der letzten Jahre. Der abgehalfterte Detective Tallow mobilisiert die Reste seiner erschöpften Bullenschlauheit, um mit Unterstützung zweier völlig durchgeknallter Forensiker dem „Jäger“ auf die Spur zu kommen. Dieser Serienmörder glaubt sich zurückversetzt in das Manahatta der indianischen Ureinwohner vor Ankunft des weißen Mannes. Polizeigroteske à la Stuart McBride, Großstadthorror vom feinsten. Der Brite Ellis ist Comicautor (Transmetropolitan), sein Kriminalroman Gott schütze Amerika stand 2009 auf der KrimiZEIT-Bestenliste.
Nach der Autorenherkunft finden Sie auf der KrimiZEIT-Bestenliste 2013 einen brasilianischen, nur einen deutschen, vier amerikanische, einen israelischen, zwei englische und einen südafrikanischen Titel. Das klingt nun international, verschweigt aber, daß es überwiegend um Übersetzungen aus dem Englischen/Amerikanischen geht. Leider ist erneut kein skandinavischer Autor dabei, die aber die Bestsellerlisten bei den in Deutschland verkauften Krimis anführen. Das gilt auch für den Norweger Jo Nesbø, der mit KOMA aus dem Ullsteinverlag einenneuen, richtig guten Kriminalroman vorlegt. Von den vielen skandinavischen Frauen abgesehen, die in Deutschland eine hohe Auflage erreichen, muß man unbedingt auch den Dänen Jussi Adler-Olsen erwähnen. Vizekriminalkommissar Carl Mørck hatte es schwer im Polizeidienst, bis er die geniale Idee hatte, aus einer Abschiebeaktion eine Kriminalkarriere hinzubekommen.
Wie? Das war ganz einfach. Er sollte in seinem ersten Fall ERBARMEN im Sonderdezernat alte Fälle zu den Akten legen. Tatsächlich fing er aber an, diese aufzuklären und ist gerade mit ERWARTUNG, alle erschienen bei dtv, bei seinem fünften spektakulären Fall gelandet. Im Januar 2014 wird die Verfilmung von ERBARMEN anlaufen, die wir für außerordentlich gelungen halten. Auf jeden Fall haben wir ERWARTUNG dann schon mit dem Gesicht des Hauptdarstellers vor Augen gelesen. Aber hier kommt er nicht vor! Warum wir das dann schreiben? Weil wir immer wieder meinen, daß die Liste leicht eine englische/amerikanische Schlagseite hat.
Bei den ausgewählten Krimis bejahen wir den neuen John le Carré, den wir für einen ganz hintertriebenen, komischen im Kern aber düster-schwarzen Abgesang auf England halten, auf ein England, das noch Moral hatte und in seinen Bürgern selbstbewußte Demokraten, wenngleich als Monarchisten. Es stimmt, daß die Romane, die gerade erst gelesen wurden, auf der JahresBestenListe immer besser bei wegkommen, als die vom Jahresanfang. Das ist verständlich, weil durch das viele Lesen eben auch vieles vergessen wird. Aber gerade in diesem Jahr ist es weniger der Fall. Daß eine Frau die Reihe anführt, noch dazu eine aus Brasilien, ist erstaunlich. Auch Sara Gran auf Platz 5 mit DAS ENDE DER WELT hatte uns sehr gut gefallen.
KrimiZEIT-Bestenliste –
die zehn Besten Kriminalromane des Jahres 2013
Lfd. Nr. |
Rang |
Titel |
1 |
1 |
Patrícia Melo: Leichendieb Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita Tropen, 208 S., 18,95 € Corumbá, Grenze Brasilien - Bolivien. Dem namenlosen Icherzähler dieser moralischen Groteske fällt beim Angeln ein Flugzeug vor die Füße. Darin der sterbende Sohn eines reichen Viehzüchters und gut ein Kilo Koks. Welch ein Glück! Der Angler beginnt zu handeln: mit Stoff, mit Leichen, mit Zukunft. Melo ist Extraklasse. |
2 |
2 |
Friedrich Ani: M Droemer, 366 S., 19,99 € München. Der Geliebte einer Lokaljournalistin ist verschwunden. Tabor Süden und seine Kollegen aus der Detektei geraten in die Spinnennetze bayerischer Nazis. Ihre Recherche führt in einen Strudel der Vernichtung. Ungeheuer. |
3 |
3 |
Warren Ellis: Gun Machine Aus dem Englischen von Ulrich Thiele Heyne, 384 S., 9,30 € Manhattan. Detective Tallow entdeckt eine Schatzkammer mit den Waffen aller Serienkiller Amerikas. Der „Jäger“ nutzt dieses Arsenal auf seinem eigenen blutbespritzten Kriegspfad: Manhattan den Indianern! Wunschalbtraum des Comicautors Ellis: Mit Polizeisirene in die ewigen Jagdgründe! Voll abgedreht. |
4 |
4 |
Jerome Charyn: Unter dem Auge Gottes Aus dem Englischen von Jürgen Bürger Penser Pulp bei Diaphanes, 286 S., 16,95 € New York/Texas 1988. Isaac Sidel ist designierter Vizepräsident der USA. Die Bronx wird an die Army verscherbelt. Um sie zu retten, fightet Sidel mit dem letzten jüdischen Gangster. Band 11 des größten Crime-Mythos der Gegenwart. Charyn lesen ist Rausch. |
5 |
5 |
Sara Gran: Das Ende der Welt Aus dem Englischen von Eva Bonné Droemer, 368 S., 14,99 € San Francisco/Brooklyn. Fünf Gitarren, ein Pokerchip, Schlüssel – schwach sind die Hinweise auf den Mörder von Paul, Claire de Witts Exliebhaber. Prekäre Autonomie der Detektivin: Claire zerstört sich fast auf der Suche nach Wahrheit, nach dem Kindertraum geliebt zu werden. Gran fasziniert. |
6 |
6 |
Lavie Tidhar: Osama Aus dem Englischen von Julia Gräbener-Müller Rogner & Bernhard, 312 S., 22,95 € Vientiane/London/New York. Privatdetektiv Joe sucht den Mann, der Osama bin Laden erfand. Plausible Realitätsumkehr: Al-Kaida als Fantasieprodukt eines Serienschreibers. Auf der Suche nach der Wahrheit der Fiktion taumelt Joe wie durch Drogenwelten, gehetzt vom Komitee gegen Gegenwärtige Gefahr KGG. |
7 |
7 |
John le Carré: Empfindliche Wahrheit Aus dem Englischen von Sabine Roth Ullstein, 400 S., 24,99 € Gibraltar/London/Cornwall. Unverwechselbar der Sound, kristallklar der Blick: Mit 82 schreibt John le Carré tough wie je. Public-private-Partnership in puncto Sicherheit: Die Unschuldigen enden als Kollateralschäden, die Aufrechten ohne Chance. Der Terror gedeiht. |
8 |
8 |
Mike Nicol: Killer Country Aus dem Englischen von Mechthild Barth btb, 512 S., 14,99 € Kapstadt. Band 2 der „Rache-Trilogie“. Mace und Pylon, ehemals Waffenhändler des ANC, jetzt Edel-Security, wollen in Frieden Erspartes investieren. Doch Ex-Politiker Ocho und Anwältin February spielen nicht ehrlich. An fette Gewinne kommt man nur durch Mord. 20 Jahre Demokratie haben daran nichts geändert. |
9 |
9 |
Daniel Suarez: Kill Decision Aus dem Englischen von Cornelia Hohlfelder-von der Tann Rowohlt, 496 S., 12,99 € Autonome Drohnen radieren amerikanische Städte, Schiffe und Softwaregenies aus. Ameisenforscherin McKinney und Spezialagent Odin mitsamt helfenden Raben leisten Bond-mäßig Widerstand gegen Cyberwar und militärisch-industriellen Komplex. Science Fiction? No, Sir, Mam: Verschärfte Realität. |
10 |
10 |
Don Winslow: Kings of Cool Aus dem Englischen von Conny Lösch Suhrkamp, 356 S., 19,95 € Laguna Beach/Baja California. Ben, Chon und O vor Zeit des Zorns. Revierkriege zwischen mexikanischen Kartell-Fraktionen stören Frieden und Gewinne der lässigen Hydro-Dope-Farmer. „Leck mich am Arsch“, an allem sind die Hippie-Eltern schuld. Winslow betört durch feine Schreibtechnik und schnelle Pointen. |
INFO:
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste
- im NordwestRadio am Donnerstag, den 19. Dezember 2013 mit Tobias Gohlis gegen 8.10 Uhr im Nordwestradio Journal sowie später in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html
in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 19. Dezember 2013 in der online-Ausgabe und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste
Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt
Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Gunter Blank, Sonntagszeitung
Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2012 ebenfalls kommentierten und auf die von 2013 warten, was jetzt passiert ist, weshalb wir letztmalig Fred Vargas von 2012 abdrucken, auf deren neues Buch nun wiederum alle warten..
Was das laufende Geschäft angeht, veröffentlichen wir auch Einzelkritiken aus der KrimiZeit-Bestenliste, wenn wir das Buch für besonders wichtig halten oder es vor der Erstellung der Liste gelesen hatten – wie die beiden Besprechungen vom neuen Roman von John Le Carré in Weltexpresso:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2268-eine-amerikanische
-sicherheitsfirma-macht-vor-was-die-usa-dann-nachmachen
.