KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für April 2016, Teil 1

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – Bitter Wash Road von Garry Disher (original 2013: Bitter Wash Road) aus dem Unionsverlag bleibt an der Spitze, was gut geeignet ist, ihn neben seinen Kollegen und Landsleuten Peter Temple und Michael Robothambei uns bekannter zu machen, obwohl er unter den Kennern schon lange eine Koryphäe ist.

 

Wir schrieben über die Qualität des neuen Romans beim letzten Mal und auch darüber, daß er von dem krimistarken, aber auflagenschwachen Berliner Verlag Pulp Master vor Jahren zum Zürcher Unionsverlag wechselte.

 

Im Unionsverlag hat Disher bisher sechs Romane mit Inspector Hal Challis veröffentlicht, genaue, feine Gesellschaftsbeschreibungen, in die das Kriminelle organisch eingewoben ist. Die Challis-Romane spielen auf der Halbinsel Mornington südöstlich von Melbourne, wo Disher wohnt. Mit Bitter Wash Road hat er sich einen Traum erfüllt: Sein neuer Held Paul „Hirsch“ Hirschhausen – dem weitere Romane beschieden sein sollen – ist in die von Weizen, Wolle und geschlossenen Kupferminen geprägte Gegend in South Australia nördlich von Adelaide versetzt worden, wo Disher aufgewachsen ist und ein Teil seiner Familie immer noch lebt.

 

Diese Landschaft und die in ihr ums Dasein kämpfenden verstreuten Menschen sind die Hauptdarsteller in Bitter Wash Road. Es ist eine zugleich deprimierende und doch auch ermutigende Geschichte um den Tod eines jungen Mädchens, lokale und überregionale Polizeigewalt und –korruption, die Hirsch widerfährt, erzählt in einem ruhigen, genau die Abtönungen der Schatten beobachtenden Ton, von dem sich viele, viele Autoren eine Scheibe ablauschen sollten, könnten sie es denn.

 

Auf Platz 2 vorgerutscht ist der letztmonatliche Dritte Andreas Pflüger mit Endgültig aus dem Suhrkamp Verlag. Über diesen Roman haben wir im Vormonat einen ganzen begeisterten Artikel geschrieben. Und: das Buch wirkt nach. Das ist eine ganz eigenartige Geschichte und eben auch eine, die noch nie erzählt wurde, was bei den tausendfachen Krimigeschichten sowieso schon eine Auszeichnung ist. Wir müssen die Vorgeschichte der heutigen VernehmungsspezialistinJ enny Aaron vom Wiesbadener BKA nicht weiter erforschen, denn in starken Szenen - toll die Hintergrundgeschichte um Mark Chagalls Gemälde Die Traumtänzerin - erfahren wir gleich zu Beginn von dem mißglückten – Verrat, Mißgunst, Mord? - Einsatz vor fünf Jahren in Barcelona als verdeckte Ermittler, der Kollegen und Geliebten Niko fast sein Leben kostete und sie ihr Augenlicht. Darum nämlich ist sie nicht mehr im Außeneinsatz tätig und hört zudem aus den Worten der Vernommenen einfach mehr heraus als diejenigen, die die Verdächtigen auch sehen.

 

Sie fliegt gerade nach Berlin, wo sie ursprünglich arbeitete und wohnte und von wo sie von ihrer alten Dienststelle angefordert wurde, auch auf Niko treffen wird, vor allem aber auf die Person, die sie vor vielen Jahren überführte und die aufgrund ihrer Aussage zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Es ist Reinhold Boehnisch, der eine Gefängnispsychologin umgebracht hat. Allerdings gibt es da Merkwürdigkeiten, und was sich auf hochintelligente Weise und den Leser in ein Labyrinth ziehendes Verwirrspiel entfaltet, ist hohe Krimikunst. Wir folgen willig den Erkenntnissen der Blinden, die tatsächlich mehr hört, als andere sehen, dann aber selber in Gefahr gerät und zum Spielball werden soll, wo sie doch das Spiel bestimmen will.

 

Daß dann alles ganz anders ist, als es scheint, will man als jemand, der Gefängnisse für sichere und überschaubare Orte hält, kaum glauben. Die Szenerie ist aber so glaubwürdig dargestellt und im psychologischen Sinn auch nachvollziehbar, daß man wiederum staunend ausgesprochen willig dem Geschehen folgt und die Fähigkeiten der blinden Spezialagentin bewundert. Und die des Autors auch.

 

Auch Ross Thomas zieht mit Porkchoppers aus dem Alexander Verlag einen Platz nach vorne auf den dritten Rang. Da liegt uns nur eine digitale Version vor, die uns einfach nicht anmacht. Das bezieht sich nur auf die Technik, denn Ross Thomas kennen wir als prima Krimischriftsteller. Fortsetzung folgt

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste ApRIL

 

 

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

Garry Disher: Bitter Wash Road

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Unionsverlag, 352 S., 21,95 €

Tiverton, Südaustralien. Paul „Hirsch“ Hirschhausen ist degradiert, auf einen Ein-Mann-Posten versetzt. Eine Sechzehnjährige wurde totgefahren. Hirsch (fast) allein gegen Sheriff, Vorgesetzte, Dorfbonzen. Weizen, Wolle, früher Kupfer, leeres Land. Ganz, ganz fein, staubtrocken und herzenswarm.

2

2

(3)

Andreas Pflüger: Endgültig

Suhrkamp, 459 S., 19,95 €

Barcelona, Moskau, Berlin. In Barcelona wird Spezialagentin Jenny Aaron angeschossen. Verrat, Mord, Bosheit. Jahre danach: Die erblindete BKA-Profilerin stößt erneut auf den Widersacher ihre Lebens. Perfekter, intelligenter Showdown über 48 Stunden. Pflüger kann Action und mehr, so unique in D.

3

3

(4)

Ross Thomas: Porkchoppers

Aus dem Englischen von Jochen Stremmel

Alexander, 310 S., 14,90 €

Chicago, Washington, D.C. Gewerkschaftswahlen: Spielfeld für gewitzte Absahner. Ross Thomas, der wusste, wie man’s macht, mixt einen Mordplan, eine gekaufte Wahl, eine Medienintrige, eine traurige Vater-Sohn-Geschichte und das Porträt eines charmanten Säufers. Erstmals vollständig auf Deutsch.

4

4

(-)

Ahmed Mourad: Vertigo

Aus dem Arabischen von Christine Battermann

Lenos, 398 S. 22,- €

Kairo. Hochzeitsfotograf Achmad Kamâl wird unfreiwillig Zeuge eines Massakers in der Nobelbar Vertigo. Polizei, Presse, Justiz – kein Schwein will wissen, was er gesehen und geknipst hat. Doch Achmad, der Träumer, gibt nicht auf. Tiefer Blick in Machstrukturen und Mentalitäten Ägyptens.

4

5

(2)

Ryan Gattis: In den Straßen die Wut

Aus dem Englischen von Ingo Herzke

Rowohlt Polaris, 528 S., 16,99 €

Los Angeles 1992. Aufruhr. Stadt ohne Staat. Hier: Feuerwehr, Nationalgarde, Killercops. Dort: Latino-Gangs. Kids als Mobster. Im Tumult Blutrechnungen begleichen. Ernesto, Bruder, guter Mann totgeschleift. Unterm Qualm rennen, schießen sie: Trauer, Fluchtversuche, Machokampf. 6 Tage Wahnsinn. Unbelievable.

6

6

(-)

Brian Panowich: Bull Mountain

Aus dem Englischen von Johann Christoph Maass

Suhrkamp, 336 S, 9,99 €

Georgia. Das Seelenheil der Burroughs rankt sich um zwei Masten: Familie und Heimat. Seit Generationen hat kein Bulle ihr Territorium betreten. Jetzt ist ein Burrough Sheriff, und das geht gar nicht. Frieden stiften will dieser Clayton. Und macht sich zum Handlanger des Staats. Bruderkrieg unter Rednecks.

7

7

(-)

Gioacchino Criaco: Schwarze Seelen

Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl

Folio, 234 S. 22,90 €

Kalabrien, Mailand. „Wir waren Abschaum“ – drei Jungs stehlen, entführen, morden, bevor sie volljährig sind. Ausgestoßene, Lumpenproleten. Als Drogendealer kämpfen sich die „Söhne der Wälder“ reich. Halb Fiktion, halb Dokumentation einer lost generation aus der verlorenen Weltecke des Aspromonte.

8

8

(-)

Declan Burke: The Big O

Aus dem Englischen von Robert Brack

Edition Nautilus, 320 S., 18,- €

Irland. Sprechstundenhilfe Karen und handsome Ray mit der Tolle sollen im Auftrag ihres Chefs dessen Frau entführen, Karens beste Freundin. Dem rasanten, funkelnden Twist Burkes wurde von der englischen Kritik das Etikett Screwball-Noir verpasst. Lachen bis zur letzten Seite.

9

9

(-)

 

Tom Cooper: Das zerstörte Leben des Wes Trench

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Ullstein, 382 S., 22,- €

Barataria Bay, Louisiana. Nach dem Hurrikan Katrina und der Ölpest finden Shrimps keinen Absatz. Aus für die Bayou-Fischerei. Da hilft nur die Rückkehr zur Piratentradition: Marihuana anbauen oder klauen, Abfindungsschwindel, Schatzsuche. Auch wenn man nur einen Arm hat. Wer kann da ehrlich bleiben?

10

10

(-)

 

James Lee Burke: Mississippi Jam

Aus dem Englischen von Jürgen Bürger

Pendragon, 588 S., 17,99 €

New Orleans, New Iberia. 25.000 Dollar kriegt Detective und Bootsbesitzer Dave Robicheaux, wenn er ein Nazi-U-Boot findet, das vorm Mississippi-Delta versunken ist. Lokale Gangster und US-Neonazis wollen das Kriegs-Souvenir auch, unbedingt. Ein Kampf bis auf die Herzmuskeln entbrennt.

 

 

 

INFO:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenListe

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste April wird am 7. April2016 in der Wochenzeitung DIE ZEIT, auf ZEITonline unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste und im Nordwestradio veröffentlicht, am Donnerstag, den 7. April 2016 gegen 9.20 live mit Tobias Gohlis und in den Sendungen der „Buchpiloten“, nachzuhören unter www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/bestenliste100.html

 

 

Monatlich wählen einundzwanzig auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:

 

Tobias Gohlis, Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt

Volker Albers, Hamburger Abendblatt, DeKrPr*

Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*

Gunter Blank, Sonntagszeitung Zürich

Thekla Dannenberg, Perlentaucher

Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung

Michaela Grom, SWR

Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Lore Kleinert, Radio Bremen 

Elmar Krekeler, Die Welt

Kolja Mensing, Dradio Kultur

Ulrich Noller, Deutsche Welle, WDR, DeKrPr*

Jan Christian Schmidt, www.Kaliber 38.de, DeKrPr*

Margarete v. Schwarzkopf, Freie Literaturkritikerin

Ingeborg Sperl, Der Standard - Wien

Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, DeKrPr*

Jochen Vogt, NRZ, WAZ

Hendrik Werner, Weser-Kurier

Thomas Wörtche, Plärrer, culturmag, Dradio Kultur, Penser Pulp bei Diaphanes, DeKrPr*

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden.

Das Prozedere der Platzverteilung für die Liste ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2015 hier ebenfalls kommentierten.

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6227:die-jahresbestenliste&catid=78:buecher&Itemid=470

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6228:vier-der-besten-haben-frauen-geschrieben&catid=78:buecher&Itemid=470

 

 

 

Der letzte Monat in Weltexpresso

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6522:an-der-spitze-tal-des-schweigens-von-malla-nunn&catid=78&Itemid=470

 

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6523:exodus-aus-libyen-von-tito-topin-aus-dem-distel-literaturverlag-auf-platz-3&catid=78&Itemid=470