Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. Oktober 2016, Teil 5
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie schade! Da ist doch alles angerührt, was heute wichtig ist: Gesellschaftspolitik, Wissenschaft, viel Kunst, ein intelligenter Professor, den sein Forschungsgebiet, die Symbolorgie, erst recht interessant macht, eine schöne Frau, die nicht Beigabe ist, sondern aktiv im Leben steht und der Milliardär und Wissenschaftler, der die Welt retten will – und es wird doch kein leckerer Brei daraus.
Doch, doch, spannend ist es schon, wenn der Professor wieder durch Gassen, Museen, Kirchen und Hinterhöfe spurtet, aber leider ziemlich sinnlos auch. Die Geschichte kann kein Mensch verstehen. Das liegt auch daran, daß dem bewährten Produktionsteam, bei dem nach DER DA VINCI CODE (2006) – nach dem Thriller von Dan Brown Sakrileg – und ILLUMINATI aus dem Jahr 2009 erneut den immer in die Fallstricke tretenden Professor Robert Langdorn/ Tom Hanks und Regisseur Ron Howard ein Drehbuch geschrieben wurde, was mit der Hinterfotzigkeit des Romans INFERNO von Brown nichts mehr zu tun hat.
Uns wundert, daß kein Mensch darüber schreibt, was sich hier Literaturverfilmung nennt, aber eher mit den Vokabeln der Zeit vor der Französischen Revolution zu kennzeichnen ist: ad usum Delphini. Da hatte man nämlich für die Söhne des Königs die klassische Literatur um all das gekürzt, verfälscht, umgeschrieben, was für die kleinen feinsinnigen Köpfchen noch nicht geeignet schien. Und im Film INFERNO darf der amerikanische prüde Markt nicht mit dem konfrontiert werden, was der Clou des Bertrand Zobrist (Ben Foster) ist, der nämlich den Gefahren der Überbevölkerung der Erde den Kampf angesagt hat, indem er an einem - nur ihm und den wissenschaftlichen Unternehmen, das dies in seinem Auftrag durchführt – bekannten Ort unter Wasser einen chemischen Stoff deponiert hat, der zum Zeitpunkt X sich löst und innerhalb von Stunden die Wasser der Welt damit infiziert haben. Folge: jeder zweite wird unfruchtbar. Die Überbevölkerung wird gestoppt.
Ist das nicht der Hammer! Und genau dies virulent Gefährliche geht Langdon durch den Kopf, als er aufwacht und nicht weiß, wo er ist (Florenz), noch wie er heißt (Landon) . Aber im Film wird aus der genialen Idee des allzukühnen Wissenschaftlers ein primitives Verbrechen. Er entwickelt eine Seuche, die – siehe oben – am Tag X frei gesetzt werden soll, wogegen nun über zwei Stunden auf der Leinwand gekämpft wird. Mit scharfen Bandagen, aber wenn man das Original, das Buch kennt, und die Motivation, die alle ergreift, wenn es um Sterilisation mit chemischen Mitteln geht, dann ist so ein simples Morden mit einer Seuche einfach unter dem Niveau des Wissenschaftlers und Menschenfreundes Zobrist.
Denn der hat sehr viele Menschen mit seiner Dezimierungsidee der menschlichen Population auf Erden zum Mitmachen begeistert. Alles das fällt im Film flach. Zwar gibt es die, die heimlich oder offen für Zobrist handeln, aber Menschen sofort zu töten, ist ethisch eben doch etwas anderes, als ihre Fortpflanzung zu hindern. Das muß man deshalb so deutlich sagen, weil dieser Film Schwächen hat, die in der Motivation derer liegen, die den Gegenspieler Zobrist unterstützen. Wer das ist, dürfen wir hier nicht verraten, aber der Film lebt vom Verrat!
Die Kurzfassung geht so: In Florenz erwacht Langdon (Tom Hanks) im Krankenhaus, durch einen Streifschuß verletzt, er sieht innere Bilder, die er nicht entschlüsselt. Die ihn aber ängstigen. Eine junge, natürlich hübsche Ärztin Dr. Sienna Brooks (Felicity Jones) erklärt ihm sein Schädeltrauma, das gleich zum echten Drama wird, weil ein Killer auf ihn angesetzt ist, dem sie nur entkommen, weil sie sich zusammentun, die zwei. Sie schleppt den Schwerverletzten mit in ihre Wohnung, wo er aber – er benutzt törichterweise ihren Rechner, zum Abfragen seiner Mails – sofort entdeckt wird. Sie müssen fliehen und soweiter und so fort. Da ist eine Flucht nach der anderen, so daß man deren Stationen gar nicht richtig genießen kann. Denn es sind exquisite Stationen. Wir halten uns in den schönsten Palästen und Museen von Florenz auf, dürfen über den Vasarigang mithetzen, der als Geheimgang die beiden Seiten des Tiber miteinander verband.
Und dann lichtet sich nach und nach das Dunkel, immer wieder blitzen Gedächtnisfetzen auf, die Langdon mit Hilfe der Ärztin zu einem Gesamtbild rekonstruieren möchte. Und alle Spuren führen zu Dantes Todesmaske. Die ist auf einmal weg. Und was im Roman schon recht krude vonstatten geht, ist im Film noch tausendmal schlimmer. Überhaupt kein Sinn darin zu finden. Der kunsthistorische Fehler im Roman war, daß sich das Geheimnis auf einem Gemälde von Botticelli zu Dantes GÖTTLICHER KOMÖDIE befinden sollte. Nur hat der nie ein solches Gemälde gefertigt, sondern nur den Text illustriert. Das umgeht der Film, in dem er nur von Bild spricht. Der zweite Fehler ist dramaturgisch wichtig. Denn Landon findet noch in Florenz heraus, daß es um das Grab des Dogen Enrico Dandolo geht. Aber der gebildete Langdon wäre doch niemals nach Venedig gefahren – was Roman und Film tun - , denn er hätte gewußt, daß dieser unchristliche Doge auf einem Kreuzzug das christliche Byzanz 1204 niedergemacht hatte und dort ein Jahr später gestorben und in der Hagia Sophia beerdigt ist, weshalb Roman und Film ihm und seinem Grab logischerweise dann nach Istanbul folgen müssen.
Hanebüchen ist das alles, unter dem Deckmantel Kultur dummes Zeug zu verbreiten. Gut, kann man sagen, die meisten Leute wissen das nicht, dann kann es ruhig falsch, bzw. dumm sein. Aber eine so intelligente Lösung wie es die Unfruchtbarkeitsdroge des Zobrist gewesen wäre im Film zur mörderischen Seuche zu machen, das geht einfach nicht.
Foto: So gemächlich schlendern die zwei Langdon und Brooks (Tom Hanks und Felicity Jones) sonst nicht!
Info: Weltexpresso hatte mehrere Artikel über Dan Browns INFERNO, auch über Langdons Aufenthalte in florenz, Vendeig und Istanbul veröffentlicht
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/1772-zwischen-transhumanismus-und-dante
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/3663-auf-den-spuren-von-dan-browns-inferno