Serie: DIE EWIGE FLAMME - Gabriele D'Annunzio und sein unvergänglicher Einfluss auf Kultur und Politik, Teil 15/15
Davide Zecca
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wer heute das Vittoriale degli Italiani, das von dem italienischen Architekten Giancarlo Maroni erbaute Anwesen von Gabriele D'Annunzio besucht, wird am Eingang von einer Tympanon-Inschrift mit dem berühmten Motto des Dichters „Io ho quel che ho donato“ („Ich habe, was ich gegeben habe“) begrüßt. Dieses Monument erinnert an das „unnachahmliche Leben“ des „Vate“.
D'Annunzios literarische Werke gehören in den italienischen Schulen heute immer noch zur Pflichtlektüre, wurden aber ab 1906 wegen ihrer „reißerischen Obszönitäten“ vom Heiligen Offizium auf den Index librorum prohibitorum gesetzt. Die Rezension des Heiligen Offiziums verurteilte seine Person und sein Schaffen mit folgenden Worten: „In all seinen Werken besingt er den aristokratischen Ästhetizismus, der in der Praxis Schmerz und Reue als Beleidigung des Schönen ablehnt; den heidnischen Optimismus des Vergnügens und der Sinne, der die Götter der Wollust anstelle des Katholizismus setzen will, welcher für D'Annunzio eine Verneinung des Lebens und des Vergnügens darstellt.“
Der selbstkreierte D'Annunzio-Mythos, der dank der raffinierten Nutzung der Massenkommunikationsmittel seiner Zeit entstand, hat sich heute in der italienischen Gesellschaft bewahrt. Das Stereotyp des libertinen, weltmännischen, eleganten und zugleich dekadenten Ästheten ist ohne die Gerüchte um seine Person nicht wegzudenken. Neben seinen zahlreichen Spitznamen, die er in einer Zeit extremer politischer und gesellschaftlicher Umbrüche erhielt, verbindet die italienische Bevölkerung mit dem Namen „D'Annunzio“ zahlreiche groteske und unbegründete Gerüchte, die weltweit kursieren.
Zu diesen Gerüchten gehören: „Er hatte Millionen von Frauen, er drehte einen Pornofilm, und es gibt Leute, die schwören, dass in seiner Garderobe zwischen makellosen Fracks und gestärkten Hemden ein verstörender Pyjama mit einem Riss in der Leistengegend hing. Manche behaupten, sie hätten ihn nachts voller Schmerzen aus dem Zwinger seiner geliebten fünfzig Windhunde kommen sehen. Andere berichten von seiner Vorliebe, den beißenden Menstruationsgeruch in den Falten der Damenunterwäsche wahrzunehmen.“ Neben angeblichen Handlungen der Zoophilie, Mysophilie und des Exhibitionismus hatte er auch voyeuristische Vorlieben. Es wird behauptet, er habe im Schlafzimmer eine Reihe transparenter Gläser angebracht, um seine Liebhaberinnen beim Stuhlgang beobachten zu können. Das vielleicht absurdeste Gerücht besagt, dass D'Annunzio sich drei Rippen entfernen ließ, um Autofellatio durchführen zu können.
D'Annunzio, der sich selbst auch als „geflügeltes und geniales Schwein“ bezeichnete, dementierte diese Gerüchte nicht, sondern trieb sie an. Die auffällige sexuelle Bulimie war Teil seiner Tendenz, sich selbst zu mythologisieren und ein unnachahmliches Leben zu führen – ein Paradebeispiel für ungezügelten Vitalismus. D'Annunzio wollte der Übermensch sein, von dem er in seinen Büchern sprach. In seinen eigenen Worten: „um sein Leben wie ein Kunstwerk zu machen“. Deshalb musste alles, einschließlich seiner Liebeskraft, zum Extremen tendieren. Jede Geste, auch die banalste, sollte sich in eine wunderschöne, absolute, außergewöhnliche, ikonische Geste verwandeln.
Der Dandy richtete seine Häuser prächtig ein, mit japanischen Lampen, Altarstrahlen, Hirschfellen, antiken Waffen und Wandteppichen. Seine Garderobe war ebenso luxuriös: Mäntel, Pelze, Morgenmäntel, sechshundert Seidenhemden, fünfzig Hüte, zweihundert Paar Schuhe, dreihundert Socken, etwa fünfzig Pyjamas und fünfhundert Krawatten. Er besaß fünfzig Windhunde, bezahlte zwölf Dienstboten, erhielt neunzig Briefe am Tag, arbeitete fünfzehn Stunden am Stück, kämpfte im Krieg, engagierte sich in der Politik, raste in seinen Autos und war sportlich erfolgreich. Kurz gesagt, im Kontext der ständigen übermenschlichen Verklärung seiner selbst würde sich D'Annunzio niemals darum kümmern, die Gerüchte über ihn zu dementieren.
Diese Legende passte perfekt zum sozialen und kulturellen Kontext Italiens am Ende des 19. Jahrhunderts mit seinem engstirnigen Provinzialismus, seinen bigotten Hemmungen und seiner respektablen Fassade, unter der tiefe Ängste aufkamen. Eine Gesellschaft dieser Art brauchte einen Verworfenen, einen obszönen Übertreter der Norm, um ihn öffentlich zu sanktionieren und ihn heimlich zu lieben. D'Annunzio kannte und beherrschte diesen Mechanismus perfekt: Der böse Sünder wurde an den Pranger gestellt, doch der Skandal ging stets mit einer schizophrenen Faszination einher. Der Dichter wurde zu einer Projektionsfläche für das Spießertum, besser gesagt zu einem perversen Helden des Bösen, titanisch, byronisch, auf den jeder Kleinbürger bereit war, in der Öffentlichkeit Verachtung, Empörung und moralische Verurteilung auszuschütten, während er im Privaten seine unterdrückten Wünsche und Impulse idealistisch projizierte. D'Annunzio erkannte in seiner Person das Verbotene, wovon aber jeder träumte. Die Grenzen zwischen Leben und Literatur, zwischen Dichtung und Wahrheit waren noch nie so fließend, und Fiume wurde zu einem (Flucht-)Ort, der als Epizentrum für d'Annunzianischen Amoralismus, Vitalismus, Pantheismus und das Dasein eines Übermenschen diente. An dem Ort, wo der „Dannunzianesimo“ erschaffen wurde.
Die Person Gabriele D’Annunzio mitsamt seiner (Selbst-)Inszenierung, seines Mythos und der daraus resultierenden Sobriquets bleibt bis heute in der Massenkultur lebendig. Seine Rezeption in allen gesellschaftlichen Bereichen ist präsent und eine Inspiration für viele Künstler. Gabriele D'Annunzio hat erneut eine Dame „erobert“: Es handelt sich um die Finalistin von Miss World Italy 2021, Claudia Motta aus Velletri (Latium). Sie zitierte auf Instagram den d'Annunzianischen Slogan „Memento audere semper“.
Foto:
Gabriele D'Annunzio im Morgenmantel am Strand von Francavilla
© Francesco Paolo Michetti MeisterDrucke 1412448
Info:
Die Serie:
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