Bildschirmfoto 2024 09 11 um 03.11.13Serie: Gabriele D'Annunzio - Ein bewegtes Leben zwischen Kultur & Politik, Teil 10/15

Davide Zecca

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ende 1919 nimmt D'Annunzios Motto „Fiume o Morte!“ („Fiume oder Tod!“) staatsorganisation- und völkerrechtliche allmählich Gestalt an: am 26. Oktober fanden in Fiume Kommunalwahlen statt, bei denen die irredentistischen Annexionisten unter Führung des gebürtigen Fiumano Riccardo Gigante mit fast 80 Prozent die Wahlen gewannen, dabei wurde Gigante am 26. November zum Bürgermeister gewählt.

Die Bewegung nimmt unerwartet zu Gunsten der Irredentisten ihren Lauf, obwohl am 16. November 1919 der verhasste Premierminister Nitti wiedergewählt wurde. Als der nationalistische Druck nachlässt und US-Präsident Wilson mit anderen Themen beschäftigt ist, macht Nitti am 23. November 1919, vertreten durch General Badoglio, D'Annunzio schließlich ein konkretes Angebot, dieses kleine Experiment Fiume zu beenden. Italien würde sich dafür verpflichten, die Finanzen der Stadt wiederherzustellen, Kredite über italienische Banken zu sichern und die Wiedereröffnung des Hafens als Freihandelszone zu unterstützen. Die Souveränität der Stadt sollte gesichert werden und italienische Truppen würden ihren Status als Pseudo-Freistaat garantieren. Dies hieße faktisch, dass die italienische Regierung den Anschluss der Stadt an Jugoslawien verhindern wird und in geraumer Zukunft eine Annexion realisiert werde.

Dieser Vorschlag stieß bei den Einwohner Fiumes, die über 60 Prozent Italiener sind, auf positive Resonanz. Viele Italiener unterstützen dieses Vorhaben aktiv, wie Riccardo Zanella es ausdrückte: „Eine formelle Annexion ist heute absolut unmöglich. Die italienische Regierung übernimmt jedoch feierlich die Verpflichtung und gibt Ihnen eine formelle Garantie, dass die Annexion in naher Zukunft erfolgen kann…Entscheiden! Entscheiden Sie! Entscheiden Sie selbst, denn Sie sind die Kinder und Herren von Fiume, und erlauben Sie nicht, dass andere Ihren Namen, Ihr Recht und die höchsten Interessen Italiens und von Fiume missbrauchen oder tolerieren.

Am 15. Dezember stimmte der Nationalrat der Stadt Fiume den Vorschlägen des „modus vivendi“ der italienischen Regierung mit 48 Ja-Stimmen und 6 Nein-Stimmen zu. Dieser Wahlausgang war für D'Annunzio und seine enge Anhängerschaft nicht förderlich. Dieses Wahlergebnis veranlasste den „Comandante“ zum Handeln. Im Theater stand er in seiner Loge auf und stellte dem Publikum zwei Fragen: „Wollt Ihr, dass ich gehe?“ Ein Kapitän, der an seiner Seite stand, schüttelte den Kopf; Die Menge schrie: „Nein.“ „Möchtest du, dass ich bleibe?“ Der Kapitän nickte; Die Menge rief: „Ja.“. Als D'Annunzio den Beschluss des Nationalrates für nichtig erklärte, kam es zu heftigen Ausschreitungen, auch gegen das Pressehaus der nationalistischen Zeitung „La Vedetta d'Italia“, das den modus vivendi unterstützte. Nach den Ausschreitungen wurde ein Referendum durch D'Annunzio einberufen, mit der Frage: „Ist der Vorschlag der italienischen Regierung, der vom Nationalrat in der Sitzung vom 15. Dezember 1919 als akzeptabel erklärt wurde, anzunehmen, indem Gabriele D'Annunzio und seine Legionäre von ihrem Eid entbunden werden, Fiume zu halten, bis die Annexion verordnet und durchgeführt wird?“

Als die Auszählungen eine eindeutige Tendenz zugunsten der Annahme der Vorschläge brachte, blockierten die Legionäre die Auszählungen und konfiszierten die Wahlurnen. Der „Comandante“ meldete sich zu Wort und verkündet: „Mir wurden Unregelmäßigkeiten auf beiden Seiten während der Volksabstimmung berichtet und nachgewiesen: Ich halte sie für so gravierend, dass sie der Abstimmung jegliche Entscheidungskraft nehmen“.

Während D'Annunzio seit der „sacra entrata“ von den „schönsten Tagen unseres Widerstandes“ spricht, distanzierten sich mittlerweile auch die anfänglich engsten Fiume-Mistreiter vom  „Comandante“, wie Luigi Rizzo und sein Kabinettschef Giovanni Giuriati. Letzterer mit den Worten: „Ich kam nach Fiume, um die jahrhundertealten Freiheiten dieses Landes zu verteidigen, nicht um sie zu verletzen oder zu unterdrücken“, so dass er am 23. Dezember 1919 den Posten als Kabinettchef verlässt. Im Januar 1920 übernimmt der bekannte Anarchosyndikalist Alceste de Ambris dessen Amt. In der italienischen Regierung macht sich Mutlosigkeit breit. Unter General Badoglio werden alle Verhandlungen abgebrochen. Das Amt als Kommissar von Friaul-Julisch Venetien ging an seinen Nachfolger, dem General Enrico Caviglia.

Fortsetzung folgt
 

Foto:
Zeichnung:
Gerd Kehrer - MEMORANDUM - 5/6
Zu den Kriegen sowie der Zerstörung der Umwelt im 21. Jahrhundert.
Kohle und Tusche auf Karton, 30 x 30 cm. (C) 2021 Gerd Kehrer

Info:
Zweitveröffentlichung vom 1. April 2024
Die bisherige Serie
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