Neueröffnung des Sammlungsbereichs „Alte Meister“ des Frankfurter Städel, Teil 3
von Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Da muß man auch die Kabinette beidseitig der Oberlichtsäle gut anschauen, in denen sich die frühen Bilder der Deutschen zusammengetan haben. Und da auf einmal, eigentlich in guter, weil gleich gearteter Nachbarschaft, finden wir auch diese liebliche kleine Tafel des Paradiesgärtleins, über die man Stunden erzählen kann, so viel verbirgt sich in diesem Hortus conclusus der Maria. Wir aber wollen endlich hinüber zu Raffaels Julius II., der erstmals mit dieser Neueröffnung ausgestellt wird.
Ist es ein Raffael, ist es keiner, ist es seine Werkstatt oder sonst ein Nachahmer? Dies haben wir in zwei Vorläuferartikeln referiert. Nun, vor dem Bild, stellt sich eine gewisse Enttäuschung ein. Es wirkt flach. Das Gesicht des Julius ist sehr – es fällt uns kein anderes Wort ein als – flach, richtig leblos; eingefallen darf der alte Papst sein, aber so stark doch eigentlich nicht. Da kann man sich nur auf die angekündigte Ausstellung über die verschiedenen Versionen des Raffaelschen Julius II. freuen. Denn das Londoner Bildnis, das man so stark in Erinnerung hat, bleibt dennoch auf die Erinnerung beschränkt und auch ein Abdruck, sei er noch so gut, kann niemals die lebendige Begegnung mit dem wirklichen Bild ersetzen.
Das ist dann doch eine tiefe Freude, wenn man sich klar macht, daß man sie jetzt wieder alle sehen kann, die italienischen Meisterwerke, im Original. Besonders angetan waren wir immer schon von den beiden Damen in Rot und in Grün, die sich wieder gegenüberhängen, nur ganz woanders und in anderer Richtung. Die Dame in Rot wird hier nur noch Pontormo zugeschrieben und das ‚nur noch‘ bezieht sich nur darauf, daß da doch auch dessen Schüler Bronzino mitgewirkt haben soll? Die Dame in Grün - wo ist sie im Katalog? -bleibt so rätselhaft wie bisher. Aber eigentlich sind wir nach all dem Wiedererkennen von Botticelli und Mantegna, von Poussin und Guido Reni und dem Guercino, den Barbara und Eduard Beaucamp dem Städel schenkten, worüber sie im Januar einen Vortrag halten, tief in uns nach der Suche nach „unserem“ Rosso Fiorentino, der einfach gnadenlos frivolen und damit im kirchlichen Kontext unanständigen „Madonna mit Kind und Johannesknaben“ von 1513-1517. Es ist nicht da.
Wir durcheilen die Italiener erneut. Es ist nicht da. Schließlich beim Hinausgehen, treffen wir auf diese Schneise, mitten ins Haus hinein, die es früher nicht gab, auf jeden Fall nicht so durchgehend als Flucht. Es sind kleinere Kabinette, wo am Schluß auf erhöhtem Raum das schon zuvor angekündigte Treffen der Zeitgenossen mit alten Meistern stattfindet. Und hier, im allerletzten Raum hängt diese umnachtete Madonna, obwohl sie eigentlich noch Haltung bewahrt angesichts ihrer frech sich selbständig machenden und durchscheinenden Brustwarzen. Ihr Jesulein allerdings zeigt deutliche Spuren eines Genusses, von dem wir nicht wissen, welches Rauschmittel dahintersteckt und von diesem erotisierten Johannes wollen wir ganz schweigen.
Warum aber hängt dieses Paradebeispiel für das Katalogthema "Kunst und Künstlichkeit" mit der Unterschrift „Was wagt ein Bild in der Zeit von Manierismus und Katholischer Reform? hier? Wir sind zwar froh, es wieder zu haben, aber mit dieser Nachbarschaft im allerletzten, wenngleich erhöhten Kabäuschen? Das müssen wir dann doch den Kurator Jochen Sander fragen, dessen Hängung der Alten Meister uns nun schon seit Stunden begeistert.
Katalog: Alte Meister, 1300-1800, im Städel Museum, hrsg. von Jochen Sander und Max Hollein, HatjeCantz Verlag 2011. An das neue, durchgängige Layout des Städel, das nunmehr auch immer Städel Museum heißt, was früher jeder wußte, an dieses S und die Balken müssen wir uns erst gewöhnen. Ansonsten hält dieser Katalog, was er verspricht und darüber hinaus gibt er viel mehr Einblicke in die Kunstgeschichte und die Geschichte der Bilder, als es normalerweise der Fall ist. Dafür steht schon Jochen Sander, der ebenfalls den für die Fachwelt beispielgebenden wissenschaftlichen Bestandskatalog für die frühen Niederländer und mit seinen Kollegen für alle Abteilungen Alter Meister erstellt hatte: Deutsche und Italiener.
Max Hollein berichtet aus der Geschichte, denn das Städel ist eines der ersten öffentlichen Museen und war ein Vorbild für andere. Anhand verschiedener Themen wie „Schaulust und Erlösungshoffnung“, „Am Vorabend der Reformation“ oder „Seelenheil und Repräsentation“, womit das Porträt als Bildaufgabe angesprochen wird, werden die Bilder in den Kontext ihrer Zeit und ihre Funktion klargestellt. Das liest sich sehr flüssig, wobei die Schrift etwas blaß ist. Wir fanden am spannendsten „Die Altmeistersammlung im Städel Museum“, wo Jochen Sander der Geschichte der Alten Meister des Städel einen Sonderauftritt verschafft, was vor allem durch das originale Gemälde von 1835 und die von Sander vorgenommenen Rekonstruktionen der späteren Hängungen und Häuser wirkt. Nichts ist so veraltet wie der Geschmack von gestern. Aber nichts ist so aufregend neu wie das, was ganz früher schon mal war: seien es starke Farben an den Wänden oder weiße Einfalt, seien es die Petersburger Hängung oder ein Freiraum für jedes Bild.
Siehe auch folgende Artikel im Weltexpresso:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/215-auferstehung-erster-akt
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/223-gelungen