Neueröffnung des Sammlungsbereichs „Alte Meister“ des Frankfurter Städel, Teil 2
von Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Danach, nach dem tiefen Kunsterlebnis im Oktogon, muß man sich entscheiden. Will man nach rechts, in den tannengrünen Bereich der Deutschen oder nach links in den roten, zu den Italienern und Spaniern? Wir sind erst nach rechts geschwenkt, weil tatsächlich Blickachsen entstanden sind, die das Städel auch räumlich vergrößern und wir auf einen Blick nach rechts ganz hinten auf blauem Grund den großartigen und großformatigen Rembrandtschen Simson hängen sehen, auch ein Wahrzeichen des Städel, und nach links ganz hinten an der Wand den neuen alten Papst Julius II., neuerworben und Raffael zugeschrieben. Daß sich auf diese Weise ein Papst und ein Alttestamentler, ein Rembrandt und ein Raffael in die Augen schauen, hat man auch noch nicht erlebt.
Die neue Hängung ist wirklich aufregend und anregend. Wir aber verfolgen die Bilder auch deshalb so gespannt, weil in neuer Umgebung manches anders wirkt. Unser eigentliches Movens aber ist, ob wir alle wiederfinden, die uns vertraut sind und die uns nun auch schon ein Leben lang begleiten: die Bilder der Alten Meister aus dem Städel. Erst einmal die Deutschen mit Lucas Cranach d.Ä. und der erotischen Venus von 1532. Klein und fein und ein Schleier, der mehr enthüllt, als er verdeckt. Meisterhaft. Der Dominikaneraltar des Hans Holbein d.Ä. von 1501 hängt sich jetzt an den Querwänden mit der Sonntags- und Werktagsseite gegenüber und alleine dessen Studium dauert und lohnt sich. Um ihn herum Dürer, die herrlichen Wetterhexen des Hans Baldung Grien und das neue Pendant zum Melanchthongemälde des Lucas Cranach des J. von 1559, das das Städel seit 1906 besitzt: Luther .
Die beiden Wittenberger Reformatoren zeigen die gleiche Geste des Bezugs auf die Bibel und daß allein die Worte zählen und nicht irgendwelches Brimborium in den Kirchen. Die Menschen dahinter, hinter der Bibel, dieser Melanchthon und Luther, die sind völlig unterschiedlich, ein intellektueller Stubengelehrter und ein diesseitiger Lebemann. Dieser Ankauf aus dem letzten Jahr zeigt, daß ein Bild durch eine Verdoppelung mindestens einen Dreifachgewinn erzielt. Denn ein Paar ist viel mehr als eins plus eins. Obwohl wir auch sagen müssen, daß uns die malereische Delikatesse des Melanchthon mehr interessiert oder liegt es daran, daß dieser noch ein Jahr nach der Gemäldeherstellung lebte, Luther aber schon 13 Jahre tot war?
Während wir also überprüfen, ob alles noch da ist, sind wir längst von dem dunklen Grün in ein leuchtendes Blau gekommen, wieder bei den Niederländern oder den Flamen und Holländern, wie es später heißt. Wir haben konstatiert, daß das Elsheimer Kabinett nicht mehr vorhanden ist, oder haben wir es einfach nicht gefunden? Nein, dort ist nun der Aufzug eingebaut, oder? Dafür eröffnet sich dann auf dem anderen Flügel, also der romanischen Seite auf einmal eine Saalflucht nach innen, die dem Städel eine Raumgröße und Raumtiefe gibt, die es vorher nicht hatte. Für unsere Augen nicht hatte.
Aber der Reihe nach, erst einmal noch Grünewald und Elsheimer und dann mit Rembrandt auch Brueghel, Rubens und Vermeer. Sein Geograph von 1669 hat das Städel in den letzten Jahren bei dessen Tournee einzelner Bilder, die sonst im Depot eingeschlossen gewesen wären, nach Übersee berühmt gemacht. Bisher hatten die Japaner beispielsweise mit dem Städel vor allem das Paradiesgärtlein von 1410-20 vom Oberrheinischen Meister verbunden. Wer nach der letzten Neueröffnung der Alten Meister, die noch nicht so lange zurückliegt, mittags im Städel die damalige Mittagspausenaktion erlebte – statt Essen, Bilder schauen – der konnte die Gruppen, die sich vor dem Paradiesgärtlein ansammelten, bald nicht mehr zählen. Japanische Gruppen vorneweg, die bedauerten, wie klein das Gemälde doch sei, daß sie hochvergrößert aus ihren Publikationen aus dem Effeff kannten. Ja, wo ist es übrigens, das Paradiesgärtlein?
Katalog: Alte Meister, 1300-1800, im Städel Museum, hrsg. von Jochen Sander und Max Hollein, HatjeCantz Verlag 2011. An das neue, durchgängige Layout des Städel, das nunmehr auch immer Städel Museum heißt, was früher jeder wußte, an dieses S und die Balken müssen wir uns erst gewöhnen. Ansonsten hält dieser Katalog, was er verspricht und darüber hinaus gibt er viel mehr Einblicke in die Kunstgeschichte und die Geschichte der Bilder, als es normalerweise der Fall ist. Dafür steht schon Jochen Sander, der ebenfalls den für die Fachwelt beispielgebenden wissenschaftlichen Bestandskatalog für die frühen Niederländer und mit seinen Kollegen für alle Abteilungen Alter Meister erstellt hatte: Deutsche und Italiener.
Max Hollein berichtet aus der Geschichte, denn das Städel ist eines der ersten öffentlichen Museen und war ein Vorbild für andere. Anhand verschiedener Themen wie „Schaulust und Erlösungshoffnung“, „Am Vorabend der Reformation“ oder „Seelenheil und Repräsentation“, womit das Porträt als Bildaufgabe angesprochen wird, werden die Bilder in den Kontext ihrer Zeit und ihre Funktion klargestellt. Das liest sich sehr flüssig, wobei die Schrift etwas blaß ist. Wir fanden am spannendsten „Die Altmeistersammlung im Städel Museum“, wo Jochen Sander der Geschichte der Alten Meister des Städel einen Sonderauftritt verschafft, was vor allem durch das originale Gemälde von 1835 und die von Sander vorgenommenen Rekonstruktionen der späteren Hängungen und Häuser wirkt. Nichts ist so veraltet wie der Geschmack von gestern. Aber nichts ist so aufregend neu wie das, was ganz früher schon mal war: seien es starke Farben an den Wänden oder weiße Einfalt, seien es die Petersburger Hängung oder ein Freiraum für jedes Bild.
www.staedelmuseum.de
Siehe auch folgende Artikel im Weltexpresso:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/215-auferstehung-erster-akt
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/223-gelungen