Serie: Neueröffnung des Sammlungsbereichs „Alte Meister“ des Frankfurter Städel, Teil 1


von Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mit viel Volk, also großem Interesse der Frankfurter wurde der auf technischen Vordermann gebrachte Mainflügel des Städel eröffnet. Die notwendigen und 18 Millionen teuren Sanierungsarbeiten von eineinhalb Jahren wurden genutzt, um die schon immer wunderbare Sammlung „Alte Meister“ (1300 bis 1800) neu zu ordnen und bei der Hängung eine durchschlagende Verbindung von Standort und inhaltlicher Aussage zu erreichen, den Besucher quasi wie von alleine durch die Kunstgeschichte zu führen. Wie er dies gemacht habe, erläuterte Jochen Sander, Stellvertretender Direktor des Städel, Sammlungsleiter und Kurator der neuen Hängung bei der Eröffnung.

 

Museumsdirektor Max Hollein, für den das der Abschluß der vorletzten Sanierungsmaßnahme ist, wenn dann im Februar das Städel insgesamt wiedereröffnet und sich unter seinem eigenen Garten etabliert hat, ging auf die Besonderheiten ein, wie der Wiederherstellung ursprünglicher Architekturzusammenhänge. Dies erläuterte anschließend Jochen Sander im Detail. Die größte Änderung ergibt sich im Zugang. Schritt man bisher die große Treppe empor, hatte man ein entzückendes Oktogon vor Augen und rechts den Zugang zu den Deutschen und Niederländern, nach links zu den Italienern, richtiger müßte man sagen: zur Romanischen Schule.

 

Schreitet  man heute die Treppe empor – und wir taten das mit den Erläuterungen Sanders im Ohr – und läßt im ersten Stock die Neuen Meister rechts liegen, blickt man auf bunte Wände. Bunt sind sie, weil auf allen vier Seiten Gemälde die Wände füllen. Rechts und links zwei typische Historienbilder des 19. Jahrhunderts von Philipp Veit und Carl Theodor Lessing und an der Innenwand ein Freskenzyklus des Nazareners Friedrich Overbeck. Das sind zwar keine Alten Meister, sie gehören inhaltlich in den ersten Stock der Neuen Meister, aber genau dies ist die Zeit, in der Johann Friedrich Städel, gestorben 1816,  längst das Städelsche Kunstinstitut zu seinem Erben eingesetzt hatte.

 

Und nun hängen sie vor uns, die Reste seiner vermachten Ursprungsammlung, dicht gedrängt in Petersburger Hängung sind alle beieinander an der tiefvioletten Wand, durch die nunmehr nur eine – etwas schmale – Tür den Zugang zu den Alten Meistern öffnet. Das ist eine so liebenswerte wie hochinteressante Hängung. Sie zeigt die Zeit, leistet dem Stifter Tribut und zeigt eben auch durch das Fehlen so vieler ehemaliger Städelbilder, was veräußert wurde, um damit ‚bessere‘ Kunst kaufen zu können, wie es der Stifter wollte. Wir treten also ein in die zentrale Rotunde, von der aus die großen Oberlichtsäle und die auf Mainseite befindlichen Kabinette abgehen.

 

Nun bleiben wir für länger stehen. Denn in diesem Oktogon in tiefem Blau hängen sie, die kostbarsten Stücke des Städel, von Sander als „Kronjuwelen“ bezeichnet, was sie auch sind, dessentwegen aus der weiten Welt so mancher anreist: die Sammlung der frühen Niederländer. Dies ist auch eine Verneigung vor den glückhaften Museumsdirektoren, allen voran Passavant, selbst Maler, und durch sein Ankaufen alter, primitiver Kunst allen anderen heute voraus. Wir schauen zentral auf die großformatigen Tafeln des Meisters von Flémalle, den sie woanders Robert Campin nennen oder doch nicht ganz, denn tatsächlich sind die Rätsel über die Identitäten mancher Maler – waren es verschiedene, Werkstätten, oder hatte einer mehrere Notnamen – noch lange nicht gelöst.

 

Aber das interessiert erst einmal nicht, wenn man wieder einmal die Präzision bestaunt, mit der dieser Meister aus dem Nichts um 1428 bis 1430 auf den Tafeln eine raumfüllende Malerei herstellt, wie in 3D und einerseits eine stoffliche Fülle erreicht und dann in seiner Grissailemalerei gleich wieder vormacht, wie man ein Bild wie eine Skulptur aussehen läßt, in der diese Schatten in der Nische wirft. Eine kunstvolle Augentäuscherei.

 

Die Lucca-Madonna von Jan van Eyck um 1437 ist so sanft, so liebenswert und so leidensfähig, wie es nur geht. Dies Bild ist aber auch ein Rätselbild, weil es viele Botschaften enthält, die nur der erfährt, der sich mit den versteckten Symbolen wie denen der Jungfräulichkeit zum Beispiel beschäftigt. Dieser Eingangssaal mit seinen Ecken reicht schon für Stunden! Und seine zentrale Lage wird optimal genutzt, denn die europäische Malerei nimmt hier ihren Anfang. Die frühen Niederländer sind die Vorbilder für Nord und Süd, Ost und West.

 

Katalog: Alte Meister, 1300-1800, im Städel Museum, hrsg. von Jochen Sander und Max Hollein, HatjeCantz Verlag 2011. An das neue, durchgängige Layout des Städel, das nunmehr auch immer Städel Museum heißt, was früher jeder wußte, an dieses S und die Balken müssen wir uns erst gewöhnen. Ansonsten hält dieser Katalog, was er verspricht und darüber hinaus gibt er viel mehr Einblicke in die Kunstgeschichte und die Geschichte der Bilder, als es normalerweise der Fall ist. Dafür steht schon Jochen Sander, der ebenfalls den für die Fachwelt beispielgebenden wissenschaftlichen Bestandskatalog für die frühen Niederländer und mit seinen Kollegen für alle Abteilungen Alter Meister erstellt hatte: Deutsche und Italiener.

Max Hollein berichtet aus der Geschichte, denn das Städel ist eines der ersten öffentlichen Museen und war ein Vorbild für andere. Anhand verschiedener Themen wie „Schaulust und Erlösungshoffnung“, „Am Vorabend der Reformation“ oder „Seelenheil und Repräsentation“, womit das Porträt als Bildaufgabe angesprochen wird, werden die Bilder in den Kontext ihrer Zeit  und ihre Funktion  klargestellt. Das liest sich sehr flüssig, wobei die Schrift etwas blaß ist. Wir fanden am spannendsten „Die Altmeistersammlung im Städel Museum“, wo Jochen Sander der Geschichte der Alten Meister des Städel einen Sonderauftritt verschafft, was vor allem durch das originale Gemälde von 1835 und die von Sander vorgenommenen Rekonstruktionen der späteren Hängungen und Häuser wirkt. Nichts ist so veraltet wie der Geschmack von gestern. Aber nichts ist so aufregend neu wie das, was ganz früher schon mal war: seien es starke Farben an den Wänden oder weiße Einfalt, seien es die Petersburger Hängung oder ein Freiraum für jedes Bild.

 

www.staedelmuseum.de

 

Siehe auch folgende Artikel im Weltexpresso:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/215-auferstehung-erster-akt

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/223-gelungen

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/258-auch-das-staedel-hat-nun-ein-portraet-von-papst-julius-ii-von-raffael-und-werkstatt

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/259-die-kunsthistorischen-ausfuehrungen-und-einschaetzungen-von-kurator-jochen-sander