
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es ist der 76. Jahrestag des Attentats auf Hitler durch die Verschwörer des 20. Juli und mit dem Gedenktag des 20. Juli sind all die Widerständler geehrt, Männer und Frauen, die seit Beginn der Nazidiktatur alles taten, Deutschland davon zu befreien, auch wenn es sie das eigene Leben kostete.

Und die beiden großen Frankfurter Zeitungen berichteten diesmal überhaupt nicht von dieser Feierstunde?
Diese relative Leere hinderte aber nicht daran, daß die Gekommenen den Ernst der Lage für die Widerständler ehren und der Redner, Stadtrat Jan Schneider, die notwendige Verbindung zum heutigen Rechtsextremisten herstellte. Daß ausgerechnet das einst linke Hessen heute als Pfuhl der Nazi-Nachfolger gelten muß, ist deshalb so schlimm, weil die Anzeichen dafür spätestens seit dem Mord an Halit Yozgat (* 1985 in Kassel; † 6. April 2006 ebenda), der am 2006 das neunte und letzte Todesopfer der rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), erkennbar waren und politisch nicht aufgearbeitet wurden – und auch die noch immer nicht aufgeklärten Querverbindungen zum Verfassungsschutz. Derzeit findet in Frankfurt der Prozeß des am 2. Juni 1999 ermordeten Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) statt.
Daß die diesjährige Feierstunde in der Frankfurter Paulskirche , wie in der Ansprach von Jan Schneider hervorgehoben, vor allem den Frauen im Widerstand galt, die zu wenig Beachtung finden, korrespondiert auf unheimliche Weise damit, daß es derzeit Frauen auf der Linken, ob in Parteien oder als Anwälte, sind, die von einer „ NSU 2.0“ oder auch einem „NS-Obersturmbandführer“ mit Morddrohungen per Drohmails überzogen werden – und sich auf Twitter mit einer frohgemuten Zeichnung und der Aussage: „Grüße an den OberSTRUMPFbandführer – Ihr bekommt uns nicht klein.“ revanchierten.


Wir hatten gerade zum 117. Geburtstag von Fritz Bauer am 16. Juli in einer vierteiligen Artikelserie auch über die heutige laxe Haltung der Braunschweiger Oberen zum Remerprozeß berichtet, der in der Geschichtswissenschaft als die Umkehr der bundesdeutschen Gesellschaft hin zu einer demokratischen Gesinnung gilt, auch wenn erst einmal ‚nur‘ ein Gerichtsurteil den von Bauer als UNRECHTSSTAATS qualifizierten NS-Staat festhielt.
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/19588-der-richtungsweisende-remerprozess-ist-in-braunschweig-nicht-mehr-richtungsweisend
Wir können uns nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, daß bis zum Remerprozeß nur die SS-Witwen staatliche Pension erhielten, nun auch die Witwen der Widerständler – auch die Witwer der Widerständlerinnen, um die es heute geht.
Und dann brachte Ursula Illert die Lebens- und Todesumstände von zwei – es gab sehr viel mehr – Frankfurter Frauen des Widerstands, die bekannte Johanna Kirchner, die weit unbekanntere Rose Schlösinger. Es war ergreifend. Man kann eigentlich nur vom Kloß im Hals berichten, weil der Eindruck, insbesondere die beiden Abschiedsbriefe für die Kinder, emotional sitzen. In einer solchen Situation, als letzte Äußerung vor dem Fallbeil so menschlich schreiben zu können, den Hinterbliebenen noch Trost zu spenden, kommt einem in unserer aufgeregten, alles zum Problem stilisierenden Welt fast surreal vor – und geht einem unter die Haut. Solche Frauen hätte es im Nachkriegsdeutschland gebraucht, um aufzuklären, als erst einmal nach der angeblichen Stunde Null es unter der Decke weiterging mit dem nationalsozialistischen Corpsgeist und Altnazis lustig auf die Schaltstellen der neuen Demokratie strebten und sich dort breitmachten.
Rose Schlösinger

Ab 1942 hatte sie als als Übermittlerin von Informationen innerhalb der Widerstandsgruppe fungiert. „Am 19. September 1942 wurde sie verhaftet und am 20. Januar 1943 wegen Spionage zum Tode verurteilt. Ihr Gnadengesuch wurde von Adolf Hitler abgelehnt. Am 5. August 1943 wurde sie im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet. Ihr Mann hatte schon am 22. Februar 1943 an der Front Selbstmord begangen, nachdem er vom Todesurteil seiner Frau erfahren hatte.["
Dann las Ursula Illert aus dem kurz vor der Hinrichtung geschriebenen Abschiedsbrief an ihre Tochter Marianne vor, die heute in der Schweiz lebt.
„Und dann sollst Du Kinder haben – wenn man Dir Dein erstes Kind in den Arm legt, vielleicht denkst Du dann an mich, daß es auch ein Höhepunkt meines Lebens war, als ich Dich kleines rotes Bündel zum erstenmal hielt und dann denk an die Abende, als wir uns im Bett unterhielten über die vielen wichtigen Dinge des Lebens – ich versuchte Deine Fragen zu beantworten – und denk an die schönen drei Wochen an der See – an den Sonnenaufgang, und als wir am Strand barfuß von Bansin nach Ückeritz liefen, und als ich Dich auf dem Schlauch vor mir hertrieb, und als wir zusammen Bücher lasen – soviel Schönes hatten wir zusammen, mein Kind, das sollst Du alles auch noch einmal erleben und noch viel mehr. Und noch eins will ich Dir verraten: Wenn man sterben muß, tut einem jedes böse Wort leid, daß man einem lieben Menschen gegeben hat; wenn man weiterleben dürfte, würde man sich das merken und sich viel besser beherrschen. Vielleicht kannst Du Dir das merken – Du machst Dir und anderen das Leben und später auch das Sterben leichter.
Und sei froh, so oft Du kannst – jeder Tag ist kostbar, es ist schade um jede Minute, die man traurig zugebracht hat.
Meine Liebe zu Dir soll Dich ein ganzes Leben lang begleiten. – Ich küsse Dich – und alle die lieb zu Dir sind. Leb wohl mein Liebes – bis zuletzt denkt mit größter Liebe an Dich
Deine Mama“
Marianne war übrigens die erste Frau von Rolf Hochhuth, der in seiner 1963 veröffentlichten Antigone-Bearbeitung Die Berliner Antigone an das Schicksal Rose Schlösingers anknüpfte. Der Novelle ist die Widmung Für Marianne vorangestellt.
FORTSETZUNG FOLGT
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Bauer © t-online
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