hillenbrandSerie: DIE KRIMIBESTENLISTE im April  2021,  Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Warum Tom Hillenbrand sein MONTECRYPTO erneut in den USA ansiedelt und seinen Namen auch dezent anglisiert, wollen wir ihn mal fragen. Auf jeden Fall ist es höchste Zeit, daß wir diesen außerordentlich produktiven Autor mit seinem Schaffen bald gesondert vorstellen. Denn er ist in mehrfachen Krimispuren unterwegs, die ziemlich konträr klingen. Da gibt es den Hang zur Wirtschaft und den Hang zur übertechnisierten Zukunft, also Science Fiction und den zur Kulinarik, womit er anfängt. Ein Anfang, dem sicher ein Zauber innewohnte, den wir erst noch entdecken müssen.

Warum wir ohne Scheu mit seinen vor Jahren erschienenen Büchern anfangen, hat mit seinem Podcast DIE BACKLIST zu tun, den er veröffentlicht, den wir noch nie angeschaut haben, aber dies tun werden, weil wir auch der Meinung sind, daß unsere Aufmerksamkeit immer nur für neue Bücher strikt unterschlägt, daß auch viele Bücher davor den neuen Generationen bekannt sein sollten. Zum Beispiel auch DER GRAF VON MONTECHRISTO von Alexandre Dumas, der für unsereiner noch Jugendlektüre war, wovon ich nicht weiß, wie gelesen dieser geheimnisvolle Mantel & Degen Roman heute noch ist. Auf jeden Fall kennt ihn Tom Hillenbrand,  eigentlich Thomas Hillenbrand, geb. 1972 in Hamburg und er selbst bringt ihn als Referenz in seinem Roman. Diesem Roman nun merkt man mindestens zwei seiner Fachgebiete an. Für Spiegel Online, Financial Times Deutschland, für das Handelsblatt u.a. Wirtschaftsblätter hat er geschrieben und bei Spiegel Online als Wirtschaftsredakteur gearbeitet.

Für mich sind die Begriffe Bitcoin, Kronenwährung,  Blockchains, digitalen Signaturen und all die anderen Worte bekannt, auch vage ihre Funktion, aber instinktiv mag ich mit so etwas gar nichts zu tun habe, weil Geld eben aus der Kindheit etwas sehr Reales ist, was man in die Hand nehmen kann. Nun weiß ich nach diesem Kreuzzug, den Edward Dante als angeheuerter Finanz-Detektiv in dieser Kryptogeldwelt unternehmen muß, fast alles, bin aber gewiß, daß ich es schnell wieder vergessen werde, aber nicht diesen Roman, der einen sehr verwickelten,Gang hat, aber eigentlich auf einer ganz einfachen Geschichte basiert.

Aber erst noch etwas anderes, denn ich hatte beim Lesen dauernd die Bilder der Erstürmung des Kapitols durch die Horde der Trump-Anhänger im Kopf, die mit den Tiermasken und nackter Brust gleichzeitig das Handy in der Hand sich selber aufnehmen und gleich in die Welt senden. Denn diese Kryptowährungstypen, die Superspezialisten sind gleichzeitig Freaks von Gestern, die die Sechziger in allen stilistischen Ausprägungen lieben, auch noch die Siebziger, auch so aussehen, also in allem rückwärtsgewandt, aber in Geldgeschäften von übermorgen, einschließlich des Wissens, das man braucht, um sich in dieser Welt als Zukunftsheld erfolgreich mit Hilfe der Technik, eigentlich der Technologie an die Spitze zu stellen.

Die verwickelte Handlung, Ausgangspunkt in Kalifornien, mit Flügen im Land nach New York, nach Frankfurt, Zürich...endet in Acapulco in Mexiko, basiert doch auf einer einfachen Geschichte. Da verunglückt der berühmte kalifornische Start-up-Unternehmer beim Flug mit seinem Flugzeug tödlich. Er hinterläßt eine Schwester, die Ed Dante anheuert, für sie nach dem riesigen Vermögen zu suchen, das er Bruder hatte, das aber nicht real in einer Bank, sondern als Bitcoins irgendwo auf der Welt über das Netz hinaus vorhanden sind, genannt DER SCHATZ. Dieser Ed Dante ist eine gebrochene Figur, denn er war einmal einer der Reichsten mit einer Million im Jahr, Vorstand der Bank, die in der Bankkrise sich und ihre Kunden in den Abgrund stürzte. Er ist also arm, gerät aber bei der Suche nach dem Schatz schnell an eine junge Frau, die im digitalen Geschäft alles weiß, jedes Gerät zum Laufen bringt und darüber die Welt über Aktuelles versorgt, gleichzeitig hat sie im richtigen Moment das Geld angelegt und ist superreich. Ein interessantes Paar also, dessen persönliche Annäherung im Gleichklang mit der Aufklärung des Falls läuft.

Der Irrsinn, der den Roman durchzieht, wird durch die internetsüchtigen, aber auch internetfähigen,noch dazu geldgierigen Leute in Gang gehalten, denn das verunglückte Finanzgenie hatte Videos vorbereitet, die nun eines nach dem anderen Massen bewegt. Wie bei einer Schnitzeljagd gibt er Hinweise, wo welcher Schatz vergraben ist, der erst einmal tatsächlich mit Goldmünzen beginnt.

Wie gesagt, quer über die Welt führt die Jagd nach dem Geld, wobei auch die EBZ in Frankfurt und die kaum vorhandenen Steuern fordernde Gemeinde Zug in der Schweiz eine Rolle spielen. Der Countdown in Acapulco, einst strahlender Touristenort für die Reichen und die angeblich Schönen, heute verkommener Glanz von gestern, atmet Gespenstisches – und ist auch gespenstisch. Daß man die Aufklärung schon lange ahnt, nimmt der Jagd nichts weg.

P.S.

Also immer diese falsche Mär mit Frankfurt am Main. Fast jeder glaubt heute, betonen zu müssen, daß Frankfurt doch inzwischen eine attraktive Stadt geworden sei und früher ein Provinznest war. Hier wird der kulturelle Aufbruch sogar mit der Europäischen Zentralbank in Zusammenhang gebracht.  „werch ein illtum!“ Frankfurt war nach dem 2. Weltkrieg, als das übrige Deutschland noch weitgehend Provinz war, eine künstlerische und geistige Oase. Die Oper unter Solti, das Theater, wo Buckwitz gegen den Widerstand des bundesdeutschen Feuilletons Bert Brecht durchsetzte, der in den 50ern in Westdeutschland persona non grata war, die Jazzlokale, die es nur hier gab, weil die Amerikaner in Frankfurt ihr Headquarter hatten, die Universität, die mit Adorno und Horkheimer Teil der Stadtgesellschaft waren, das Städel, das damals schon die Moderne ausstellte, der Hessische Rundfunk, der damals geradezu revolutionär war. Selbst die Studentenbewegung, die ihre SDS-Vorsitzenden aus Frankfurt hatte, nahm hier einen anderen, nämlich offen intellektuelleren Verlauf als in allen anderen Universitätsstädten. Daß die Grünen hier eine Basis bekamen, gehört auch dazu.

Die Leute haben wirklich keine Ahnung, aber pflegen ihre Vorurteile.



DIE KRIMIBESTENLISTE IM APRIL 2021


Bildschirmfoto 2021 04 03 um 00.47.42
Bildschirmfoto 2021 04 03 um 00.48.05



Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?

WO? außerhalb von WELTEXPRESSO?
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de

Die Krimibestenliste erscheint  nicht mehr am ersten Sonntag des Monats in der Printausgabe: www.faz.net !!! Die zukünftigen Krimibestenlisten  2021 sind allerdings noch nicht einmal  online  für die FAS verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste im Feuilletonteil. Noch einmal im Klartext: Leider gibt es die Liste ab 2021  noch nicht einmal  im FAZ-Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren? Da muß man froh sein, daß der Deutschlandfunk Kultur die Kriminalromane als anspruchsvolles Genre noch nicht aufgegeben hat, sondern weiterhin jeden ersten Freitag im Monat die neue Liste bringt, die wir sobald wir können, nachveröffentlichen.

An jedem ersten Freitag des Monats geben also 18 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste war zuvor eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur, der Sender, der nun die Krimibestenliste alleine veröffentlicht und trägt. Das wäre schon für die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt ein wichtiges Argument, den Rundfunkgebühren zuzustimmen.


Die Jury:

Tobias Gohlis, Sprecher der Jury
Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, ARD
Gunter Blank, „Rolling Stone“
Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“
Hanspeter Eggenberger, „Tages-Anzeiger“
Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“
Sonja Hartl, „Zeilenkino“, „Crimemag“, „Deutschlandfunk Kultur“
Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Alf Mayer, „CulturMag“, „Strandgut“
Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“
Marcus Müntefering, „Der Spiegel“
Ulrich Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, „SWR“, „WDR“
Frank Rumpel, „SWR“
Ingeborg Sperl, „Der Standard“
Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“
Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

Wie funktioniert die Abstimmung?

Die Krimibestenliste wird im Auftrag von Deutschlandfunk Kultur durch eine Jury aus Kritikerinnen und Kritikern erstellt.
Es sind die obigen 19 Spezialistinnen und Spezialisten für Kriminalliteratur aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die aus der laufenden Produktion monatlich jeweils vier Titel vorschlagen, die sie mit sieben, fünf, drei oder einem Punkt bewerten.
Der so gefundene Punktwert pro Titel wird mit der Zahl der für ihn abgegebenen Stimmen multipliziert. Daraus wird die monatliche Liste berechnet.
Jedes Jurymitglied darf insgesamt drei Mal für denselben Titel votieren. Voten für Titel, an deren Entstehung oder Vorbereitung man beteiligt war, sind verboten.
Die Titel dürfen nicht älter als zwölf Monate und keine Wiederauflagen, Sammelbände oder Anthologien sein. Unterschiede zwischen Hardcover, Paperback und Taschenbuch werden nicht gemacht.
Im Durchschnitt kommen fünf Titel neu auf die monatliche Liste. Die Ziffer in Klammern gibt den Rang des Vormonats an.

Foto:
Cover

Info:
Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO  im Dezember 2020
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20678-goetter-und-tiere-von-denise-mina-von-ariadne-weiterhin-auf-platz-
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20679-platz-6-eric-plamondon-mit-taqawan-aus-dem-lenos-verlag
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20680-platz-1-denise-mina-goetter-und-tiere-ariadne-im-argument-verlag
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20735-die-guten-krimis-von-gestern-annas-rendon-steph-cha-u-a
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20733-real-tigers-von-mick-herron-von-diogenes-auf-platz-4
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20894-platz-9-und-10-ungewoehnliche-amerikanische-verbrecher-damals-1919-und-heute


Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im Januar 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20958-dark-von-candice-fox-von-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20962-dominique-manotti-mit-marseille-73-von-ariadne-bleibt-auf-platz-2
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20972-unter-den-ausgeschiedenen-kalmann-von-joachim-b-schmidt
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21031-unter-den-ausgeschiedenen-heisses-blut-von-un-su-kim
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21023-unter-den-ausgeschiedenen-dammbruch-von-robert-brack
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21050-neu-auf-platz-8-nicci-french-mit-eine-bittere-wahrheit


konnten wir noch nicht besprechen, das wollten wir im Zusammenhang mit der Februarliste leisten, aber, siehe Teil 1, leider ist DIE RESIDENTUR einfach weggefallen. Deshalb wird in einem der nächsten Teile  eine Besprechung folgen!

Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im Februar 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21208-tim-macgabhanns-der-erste-tote-von-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21211-tim-macgabhanns-der-erste-tote-von-suhrkamp-auf-platz-2
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21226-dark-von-candice-fox-aus-dem-suhrkamp-verlag-auf-platz-7
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21248-westwind-von-samantha-harvey-im-atrium-verlag-auf-platz-3
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21249-boeses-blut-von-robert-galbraith-verlag-blanvalet-auf-dem-achten-rang
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21280-der-tschechische-thriller-die-residentur-trotz-qualitaet-und-aktualitaet-herausgefallen
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21256-das-grosse-aufraeumen-von-david-wish-wilson-suhrkamp-auf-platz


Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im März 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21466-die-experten-von-merle-kroeger-bei-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21465-mim-visier-des-snipers-von-stephen-hunter-festa-verlag-leider-verschwunden
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21464-verweigerung-von-graham-moore-eichborn-verlag-auf-platz-6
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21483-speziell-zum-weltfrauentag-gestapelte-frauen-von-patricia-melo-auf-platz-3


Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im April 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21737-unter-den-auf-der-liste-verschwundenen-auch-der-solist-von-jan-seghers
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21748-frederick-forsyth-die-akte-odessa-piper-verlag
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21764-merle-kroegers-die-experten-weiterhin-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21801-die-sechs-neuen-krimis-auf-der-liste
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21802-tom-hillenbrand-montecrypto-bei-kiwi-neu-auf-platz-4