Helga Faber
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ob die Frankfurter wissen, was sie an Ihrem Filmmuseum haben. Der Stamm der Ständigen gewiß. Denn es gibt wirklich eine richtige Fangemeinde. Diese Reihe allerdings ist vor allem für diejenigen, die wichtige Filme verpaßt hatten. Denn hier kann man diese Kino-Erlebnisse aus dem Kinojahr 2017 nachholen – natürlich in der Originalfassung mit Untertiteln. Die Reihe wird im Februar fortgesetzt.
Montag, 1. Januar, 18 Uhr, und Mittwoch, 3. Januar, 20:30 Uhr
TOIVON TUOLLA PUOLEN Die andere Seite der Hoffnung Finnland/Deutschland 2017. R: Aki Kaurismäki
D: Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen, Janne Hyytiäinen. 98 Min. DCP. OmU
Dem Syrer Khaled ist es gelungen, über mehrere Stationen in Finnland Zuflucht zu finden, doch sein Asylantrag wird abgelehnt. Zur selben Zeit ist ein ehemaliger Hemden-Verkäufer zu unverhofftem Reichtum gelangt und hat ein Restaurant übernommen. Als dieser den Geflüchteten eines Morgens vor seinem Geschäft findet, beschließt er, ihm zu helfen. Mit lakonischem Humor entwirft der finnische Regisseur im Aufeinandertreffen der beiden ungleichen Protagonisten – stilistisch einzigartig – eine bescheidene soziale Utopie.
Ein starker Film - und auf der Berlinale 2017 vor- und aufgeführt. Nostalgisch sagen einige dazu. Na und? Menschlich auf jeden Fall und komisch auch.
Freitag, 5. Januar, 18:00 Uhr, und Samstag, 6. Januar, 20:15 Uhr
TESTRŐL ÉS LÉLEKRŐL Körper und Seele
Ungarn 2017. R: Ildikó Enyedi. D: Géza Morcsányi, Alexandra Borbély, Zoltán Schneider, 116 Min. DCP. OmU
Maria (Alexandra Borbély) arbeitet als Qualitätsprüferin in einem Schlachthof in Budapest. Durch einen Zufall erfährt sie, dass ihr neuer Kollege Endre (Géza Morcsányi) Nacht für Nacht den gleichen Traum wie sie träumt: Sie finden sich in der Rolle eines Hirschs und einer Hirschkuh wieder, auf der Suche nach etwas Essbarem. Behutsam versuchen die beiden, diese intime Verbindung auch in die Wirklichkeit zu übertragen. Ildikó Enyedis Film gewann auf der Berlinale den Goldenen Bären.
Auch dieser Film war im Wettbewerb der Berlinale und hatte Aufsehen erregt und auch einen Preis gewonnen. Mit Recht. Die Bildsprache ist eindrucksvoll, neben dem leisen, sanften Inhalt, was wunderbar inszeniert ist. Eine ungarische Regisseurin! Und auch ein weiterer Film erregte Aufsehen: Pokot, Spur. Eine gnadenlose Abrechung mit dem feudalen Männerbild, das sich die Erde einschließlich der Tiere und der Frauen jahrtausende untertan gemacht hatte - und hat. Und dies gelassen und humoristisch in Szene gesetzt. Ein toller Film, der erst einmal lange keinen deutschen Verleiher fand! Jetzt soll er am 4. Januar endlich in die deutschen Kinos kommen. Fast ein Jahr nach seiner Aufführung bei der Berlinale. Auf jeden Fall ein Anwärter auf die verpaßten Filme 2018! Besser: gleich hingehen - und im übrigen: Jeder Filmkenner weiß, daß man beim zweiten Mal noch viel mehr sieht als beim ersten Schauen.
Sonntag, 7. Januar, 20 Uhr, und Mittwoch, 10. Januar, 18 Uhr
ELLE
Frankreich/Deutschland/Belgien 2016. R: Paul Verhoeven
D: Isabelle Huppert, Laurent Lafitte, Anne Consigny. 126 Min. DCP. OmU
Mit ELLE präsentiert sich Paul Verhoeven einmal mehr als äußerst wandelbarer und provokanter Regisseur: Michèle ist Geschäftsführerin einer IT-Firma. Eines Tages wird sie nach der Arbeit in ihrem Haus überfallen und vergewaltigt. Sie denkt jedoch nicht daran, sich als Opfer zu sehen und lässt sich in der Folge auf ein verstörendes serielles Sexspiel ein. Mit Versatzstücken des Vergewaltigungsthrillers entwickelt Verhoeven in kongenialer Partnerschaft mit Isabelle Huppert eine Unterwanderung moralischer Kategorien.
Freitag, 12. Januar, 18 Uhr, und Samstag, 13. Januar, 20:30 Uhr
DAVID LYNCH: THE ART LIFE
USA/Dänemark 2016. R: Olivia Neergaard-Holm
D: Rick Barnes, Jon Nguyen. Dokumentarfilm. 88 Min. DCP. OmU
Während David Lynch zuletzt mit der Fortsetzung von TWIN PEAKS von sich reden gemacht hat, blickt ein Dokumentarfilm auf seine Arbeit als bildender Künstler: Insbesondere der frühen Schaffensphase vor den Dreharbeiten an seinem ersten Spielfilm, ERASERHEAD, in Philadelphia gilt das Augenmerk. Zu Wort kommt vor allem der Künstler selbst, mit markanter Stimme und scheinbar durchgängig rauchend in seinem Studio: David Lynch, das wird schnell klar, ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Die daraus entstehenden Einblicke in den kreativen Prozess und die Persönlichkeit des Regisseurs machen den Dokumentarfilm unbedingt sehenswert.
Sonntag, 14. Januar, 20 Uhr, und Donnerstag, 18. Januar, 20 Uhr
THE SQUARE
Schweden/Deutschland/Frankreich/Dänemark 2017. R: Ruben Östlund D: Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominic West, 142 Min. DCP. OmU
Chefkurator Christian bereitet eine neue Ausstellung mit dem Titel „The Square“ für ein Stockholmer Museum vor. Doch so recht kann er sich nicht konzentrieren: Er wird von einem Trickbetrüger-Trio ausgenommen, hat mit Eitelkeit zu kämpfen und eine Marketing-Kampagne tritt durch eine Unaufmerksamkeit ein mediales Desaster los. THE SQUARE, der in Cannes 2017 die Goldene Palme gewann, ist nicht nur als bloße Kunstsatire angelegt: Die Untersuchung des Kunstbetriebs dient Östlund als Ausgangspunkt für eine breit angelegte Gesellschaftsanalyse, ihrer Regeln, Tabus, Ungleichgewichte und Machtdynamiken, und ist gerade deshalb äußerst hellsichtig.
Freitag, 19. Januar, 18 Uhr, und Mittwoch, 24. Januar, 20:30 Uhr
LA MORT DE LOUIS XIV Der Tod von Ludwig XIV. Frankreich/Spanien/Portugal 2016. R: Albert Serra
D: Jean Pierre Léaud, Patrick d’Assumçao, Marc Susini. 120 Min. DCP. OmU
Louis XIV. liegt im Sterben und ist ans Bett gefesselt. Die um den Herrscher versammelten Bediensteten und Ärzte sorgen sich um dessen Wohlergehen, denken nebenbei aber auch schon an die Zeit danach. In seinem bislang zugänglichsten Film untersucht Albert Serra zusammen mit Jean-Pierre Léaud als alterndem Sonnenkönig die Fähigkeiten des Kinos, körperliche Präsenz, zeitliche Dauer und Vergänglichkeit aufzuzeichnen und wiederzugeben. Die filmischen Tableaus ähneln Gemälden und machen den Film durch ein Spiel mit Farben und Texturen, Kerzenschein und Dekor zu einem besonderen ästhetischen Erlebnis.
Freitag, 26. Januar, 18 Uhr, Sonntag, 28. Januar., 20 Uhr
WESTERN
Deutschland/Bulgarien/Österreich 2017. R: Valeska Grisebach
D: Meinhard Neumann, Syuleyman Alilov Letifov. 121 Min. DCP. OmU
Eine Gruppe deutscher Bauarbeiter soll mit EU-Projektmitteln ein Wasserkraftwerk für ein Dorf an der bulgarisch-griechischen Grenze errichten. Sowohl zwischen den Arbeitern als auch im Umgang mit der Dorfbevölkerung entstehen bald schon Spannungen und Konflikte. Valeska Grisebachs überwiegend mit Laiendarsteller/ innen gedrehter Film verbindet spielerisch Motive des klassischen Westerns mit Fragen zu inner- europäischen Kräfteverhältnissen. Gerade die analytische Art, mit der WESTERN auf Männlichkeitsfantasien und die latente Fremdenfeindlichkeit der Arbeiter blickt, macht ihn zu einem bewegenden und bemerkenswert aktuellen Film.
Samstag, 27. Januar, 20:30 Uhr, und Mittwoch, 31. Januar, 18 Uhr
UNA MUJER FANTÁSTICA Eine fantastische Frau Schweiz/Deutschland/Spanien/USA 2017. R: Sebastián Lelio
D: Daniela Vega, Francisco Reyes, Luis Gnecco. 104 Min. DCP. OmU
Nach dem plötzlichen Tod ihres Geliebten Orlando fällt Marina in ein Loch. Die Kommunikation mit der gekränkten Ehefrau und der Familie des Verstorbenen erweist sich dabei als besonders schmerzhaft: Als Transsexuelle wird sie von ihnen diskriminiert, beleidigt und von der Trauerfeier ausgeschlossen. Sebastián Lelio, der 2013 mit GLORIA seinen internationalen Durchbruch feierte, inszeniert in UNA MUJER FANTÁSTICA Marinas Kampf um ihr Recht auf Trauer als Drama in drei Akten, das für die Offenheit von Geschlechteridentität und die Allgemeingültigkeit von Gefühlen plädiert.
Fotos: Elle © DIF
Info:
Unsere Filmkritiken zu diesen Filmen:
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