
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der weltweit bekannte Fotograf Sebastião Salgado ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Das gab die französische Akademie der Schönen Künste in Paris bekannt, deren Mitglied er war. Er wurde mit seinen Schwarz-Weiß-Bildern von Katastrophen, harter menschlicher Arbeit und bedrohter Natur weltberühmt. Danach begann er in Brasilien im Amazonasgebiet mit einem denkwürdigen Aufforstungsprojekte. Als er 2019 in Frankfurt den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt, sprach er in seiner Dankesrede von seiner "Mission, Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen"
Das gelang ihm, der mit seiner Kamera in Gebiete vordrang, die erst die Weite der Meere zeigte, dann das Innere der Erde beim für Menschen todesgefährlichen Abbau von Erz, immer in Schwarz-Weiß. Dies konnte man in den schönen großen Bildbänden von Taschen verfolgen. Der Verlag gab für ihn im Verlauf der Buchmesse 2019 einen großen Empfang auf der Messe, wo man ihn kennenlernen konnte und von seiner Leidenschaft für Humanität und seiner lebensbejahenden Einstellung zur Natur und ihren Rechten hingerissen war. Ein leidenschaftlicher Mensch, der sich persönlich immer zurücknahm und sich als Sprachrohr für Benachteiligte und gegen die Ausbeutung der Natur durch den Menschen sah. Erneut in Frankfurt am Main zeigte er im letzten Sommer in der Alten Oper sein Projekt AMAZÔNIA – THE WORLD OF SEBASTIÃO SALGADO mit Konzerten, Filmvorführung, Vorträgen und den auf Leinwandgröße gezeigten ausgewählten Fotografien.
Der Tod eines Menschen ist für die Angehörigen immer ein Schock und je stärker ein Mensch in die Öffentlichkeit wirkt, desto mehr Menschen sind von dessen Tod betroffen. Wenn man Salgado kennenlernen durfte, trifft das alles zusammen. Man ist tieftraurig und erschüttert, fragt sich, warum einen sein angegriffenes Aussehen im letzten Jahr nicht weiter beschäftigt hatte, weiß nicht, woran er gestorben ist, denn 81 Jahre sind heute kein Alter zum Sterben, fühlt aber, als sei ein ganz Nahestehender einfach tot. Ein Verlust für die Menschheit. Seine Werke bleiben. Diese unglaublich intensiven Fotografien, die der Verlag Taschen in so schöne, große Bildbände gebracht hat. Der Film über ihn, seine fotografischen und Landschaftswerke, die Wim Wenders zusammen mit Salgados Sohn in DAS SALZ DER ERDE eindrucksvoll auf die Leinwand brachte, bleibt ein Vermächtnis. Glückhaft gelingt hier, die Anstrengungen eines ganzen Lebens für eine bessere Welt zu dokumentieren. Das Besondere sind wirklich die so unterschiedlichen Ausrichtungen. Schon in der Fotografie - fast immer in einem tiefen Schwarz-Weiß - weitet er den Blick nach den unglaublichen Naturaufnahmen auf den Menschen aus, auf den hart arbeitenden Menschen. Was der dann mit dem durch seine künstlerische Arbeit erworbenem Vermögen macht, ist ebenfalls beispielhaft. Er mußte seine Heimat im brasilianischen Amazonasgebiet, wo seiner Familie großen Landbesitz hatte, aufgrund seiner politischen Einstellung gegen die damalige Militärdiktatur und deren Verfolgungen verlassen, ging nach Paris, von wo aus er in der Welt unterwegs war und was Lebensmittelpunkt blieb. Aber dann kam die Idee der Aufforstung des Familienbesitzes und der Anpflanzung von Tausenden von Bäumen. Was er auch anpackte, Sebastião Salgado, das tat er mit voller Kraft und einem totalen Einsatz. Und konnte die so unterschiedlichen beruflichen und materiellen Ebenen von Fotografie und lebendiger Natur dann auch noch intellektuell und künstlerisch in Veranstaltungen wie in der Alten Oper verbinden. Ein glückhaftes Leben.
Stimmen:
Die Fotografie als Sprache"Das Land war nur noch eine staubige Steppe. Von den Vögeln, den Alligatoren, den majestätischen Wäldern und all den Wundern, die sie in Sebastiãos Jugend belebt hatten, war nichts übrig", beschreibt Wenders in dem Film den Moment, als Sebastião Salgado nach Jahrzehnten zum Landgut seiner Familie zurückkehrt.Unkontrollierte Abholzung hat die Gegend im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, die er als Kind noch als üppigen Regenwald kennengelernt hatte, in eine kaputte, von Erosion zerstörte Steppe verwandelt. Das Bild der Ödnis und Verwüstung ist gleichzeitig auch eine Metapher - für Salgados eigenen Zustand damals Mitte der 1990er-Jahre.Das, was ihn ausmachte, sein Leben prägte und ihn in der ganzen Welt berühmt gemacht hatte - genau das drohte ihn damals innerlich kaputtzumachen. "Für mich ist Fotografie eine Lebensart, in der meine Sprache die Fotografie ist, egal ob ich etwas wunderschön oder völlig zerstört vorfinde, egal ob es mich begeistert oder entsetzt", sagte er.
Die Fotografie von Sebastião Salgado zeichnet sich durch eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Bilder, satte Tonalität und emotional aufgeladene Kompositionen aus. Seine Arbeiten porträtieren oft die Widerstandsfähigkeit und Würde marginalisierter und verarmter Gemeinschaften und legen dabei einen starken Fokus auf die menschliche Verbindung zur Umwelt. Salgado sei ein "großer Zeuge der menschlichen Verfassung und des Zustands des Planeten" gewesen, würdigte die französische Akademie der Schönen Künste sein Schaffen. Das von ihm und seiner Frau gegründete Instituto Terra teilte mit: "Sebastião war mehr als nur einer der besten Fotografen unserer Zeit." Seine Linse enthüllte die Welt und ihre Widersprüche; sein Leben (brachte) die Kraft des transformativen Handelns. Instituto Terra zum Tod von Sebastião Salgado.
Per Zufall zur Fotografie
Salgado, der eigentlich Wirtschaftswissenschaften studiert hatte und später vor der Militärdiktatur in Brasilien nach Paris floh, kam eher zufällig zur Fotografie. Er knipste während Dienstreisen mit der Leica seiner Frau. Sein außergewöhnlicher Blick für Licht und Schatten machte ihn berühmt: Es entstanden bewegende Schwarz-Weiß-Bilder, zunächst aus Afrika, dann auch aus Europa und Lateinamerika.Er war pausenlos unterwegs: "Als Fotograf kann man nicht einfach aufhören. Das ist wie Fahrradfahren. Du musst immer weiter treten."Meistens war er allerdings zu Fuß unterwegs. Viele Tausende Kilometer reiste er, hielt mit seiner Kamera auch fest, was niemand sehen wollte oder konnte: Bilder der Opfer des Völkermords in Ruanda, Hungertote in der Sahelzone und Goldsucher, die sich zu Tausenden in einer verdreckten Mine drängen.Bilder brachten auch Kritik mit sichEs sind Bilder der Ausbeutung, der Zerstörung, des Leids und Elends, in denen doch immer auch Ästhetik und Schönheit lag. Das brachte ihm auch Kritik ein: der Sozialfotograf, der das Elend der Leidenden instrumentalisiere, nannten ihn Kritiker.Salgado antwortete darauf: "Die moralische Frage kann nicht sein, ob man katastrophale Zustände zeigen darf oder nicht. Ich glaube, wir müssen sie zeigen." Die Menschen müssten begreifen, was passiert. "Jeder muss betroffen sein, und die Möglichkeit bekommen, etwas zu ändern oder nicht", sagte der Fotograf. "Es geht nicht um die Frage, ob man solche Fotos macht oder nicht. Die Bilder sind harmlos im Vergleich zur Realität."
Salgados Rückkehr in die Natur
Doch irgendwann schaffte er es selbst nicht mehr, das Gesehene zu verarbeiten. Salgado wurde krank, sein Immunsystem brach zusammen. "Wir Menschen sind ausgesprochen wilde Tiere. Furchtbare Tiere. Unsere Geschichte ist eine Geschichte von Kriegen ohne Ende."Kraft und Hoffnung fand er wieder in der Natur. Gemeinsam mit seiner Frau kehrte er zurück auf die Farm seiner Kindheit in Brasilien, sie begannen auf dem öden Land wieder Wald zu pflanzen und schufen mit dem Instituto Terra eines der größten Aufforstungsprojekte Brasiliens"Es ist eine Freude zu sehen, wie alle Pflanzenarten zurückkommen, und die Tiere - von denen wir glaubten, sie seien in unserer Gegend für immer ausgestorben. Für uns ist dieser Wald ein Heiligtum", sagte er über sein Projekt.
Neue Inspiration für die Fotografie
Es war ein Neuanfang, auch für seine Fotografie: Zuerst schuf er mit dem Projekt "Genesis" - die Schöpfung - einen Gegenentwurf zu Krieg und Zerstörung. Es folgte "Amazônia" - eine eindrucksvolle Hommage an die Schönheit der grünen Lunge der Erde und die indigenen Völker, die sie bewahren. Zugleich sind diese Bilder auch Warnung und Mahnung an die Menschheit, diese Welt nicht zu zerstören."Sebastiao Salgado war viel mehr als einer der größten Fotografen unserer Zeit", schrieb das von ihm gegründete Instituto Terra nach Bekanntwerden seines Todes. "Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Lélia Deluiz Wanick säte Salgado Hoffnung dort, wo Verwüstung herrschte, und verlieh so der Idee Ausdruck, dass die Wieder-Instandsetzung der Umwelt auch eine tiefe Geste der Liebe zur Menschheit ist."
Foto:
©Tagesschau
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