Monika Geier, Antoniusfeuer auf Platz 7

Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im November 2023, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Doch, doch, am Schluß als Epilog besucht Geiers Heldin, - inzwischen Ober - kommissarin Bettina Boll vom Ludwigshafener K11, zusammen mit ihren zwei Kindern Enno und Sammy, die sie für ihre  tödlich verunglückte Schwester aufzieht und adoptiert hat, auch den Isenheimer Altar im Musée Unterlinden, diese faszinierenden mehrteiligen Tafelbilder von Matthias Grünewald, von denen die zweiten Rückseiten: die beiden Tafeln mit dem Heiligen Antonius, hier vor allem die Versuchungen des hl. Antonius zum Titel führen, ein Bild, das man kaum beschreiben kann, sondern beim Ansehen seine Sinne zusammennehmen muß, um nicht selbst zu halluzinieren.

Die Antoniusfeuer genannte Krankheit, eine Geisel des Mittelalters, ist die Vergiftung mit Mutterkorn, hauptsächlich im Roggen vorkommend, ein hartes, bis zu 4 cm große schwarzviolette aus der Ähre herausragendes Myzelgeflecht des Mutterkornpilzes Claviceps purpurea. Und tatsächlich wird im Roman in einer Küche, konkret in der Pfeffermühle,  dieser Giftpilz gefunden und tatsächlich sind in letzter Zeit auffällig viele Tote in dieser Ortschaft Frohnwiller aufgefunden worden, wo aber jetzt ein Todesfall in der Jugendstrafanstalt die Kriminalpolizei auf den Plan ruft. Problem: Der inhaftierte Mädchenmörder, ein afghanischer Flüchtling, hatte sich in seiner Zelle erhängt und im Koran, dem einzigen Buch, das er las, fand sich als Andachtsbild Grünewalds „Die Versuchung des hl. Antonius“ (hier Auszüge in den Fotos).


Bettina Boll, die mit den Kindern in die schöne, großzügige, aber verwohnte Villa der verstorbenen Tante gezogen ist und nur noch halbtags arbeitet, ist gerade im Garten beschäftigt, als ihre neuer Chef, Willenbacher (haha, das ist ihr ehemals etwas dusseliger Untergebener von Band 1 (ja wia im richtigen Leben, daß die Männer befördert werden und die Frauen Kinder aufziehen)), sie wegen des Selbstmörders anruft und herkommandiert. Was jetzt abgeht und über 428 Seiten nicht nachläßt, ist ein solches Dickicht an besonders eigenen Menschen mitsamt Kindern, ihren oft merkwürdigen Beziehungen, der christlichen Botschaft in vielfacher Form einschließlich Teufelsaustreibung und Eheannullierung nach dem kanonischen Recht der Katholischen Kirche, soviel an Wissen ganz unterschiedlicher Art, was man beim Lesen quasi von alleine aufnimmt sowie der Hauptsache: vielenToten, ermordeten Frauen und einem Mann, die alle auf ganz besondere Weise dann auch noch als Leichen drapiert werden; die anderen Gestorbenen, denen man einen natürlichen Abgang attestierte, müßten nach dieser Mordaufklärung eigentlich exhumiert und obduziert werden.


Man braucht angesichts der Fülle des Geschehens eigentlich einen Co-Krimi als Besprechung, so viel passiert unaufhörlich, so viele Leute mischen maßeblich mit, aber dann findet sich im Vorwort der Herausgeberin Else Laudan ein stimmiges Urteil:
„In der momentanen Jetztzeit voll verdrängter Erkenntnisse, Inbrunst und Vertrauensschwund bei gleichzeitigem Informationsoverkill gelingt Monika Geier ein fein ziselierter, stimmungsvoll bildhafter und höllisch gewiefter Kriminalroman über Glaube und Bedeutung.“

Und einer über Männer und Frauen, „Charaktere von furioser Präsenz. Dabei ist die Bandbreite gewaltig. Dieser schleimige Nachbar mit dem guten Aussehen ist wunderbar geschildert und auch die körperlich angewiderte Reaktion der Boll, wie Willenbacher, der Will, seine Mitarbeiterin nennt. Natürlich ist die eigentliche zentrale Figur Ina Rotas, eine äußerst manipulative Person, mit den Kindern: der zweijährig gestorbenen Mira, dem im Rollstuhl sitzenden bald erwachsenen Manuel und Pia, die auf Drogenentzug in einer Klinik liegt und ihre kleine Tochter Alice widerwillig der Mutter anvertrauen muß. Um diese Person kreist die Kriminaluntersuchung, in der man nicht mitbekommt, daß Bettina Boll nur halbtags arbeitet, so intensiv betreibt sie die Mordklärung (schon wieder wia im richtigen Leben). In der man aber sowohl das personale Geflecht dieses kleinen Ortes wie auch deren oft widersprüchliche Verbindungen eindringlich geschildert erlebt. 

Und einer über Drogen und Medikamente sowie Naturheilmittel.

Und einer über die Pfalz, ihre deftigen Menschen, den Dialekt. Wunderbar irres und pralles Leben!