SHADOWMAN von Jacob Ross neu auf Platz 7

Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im August 2023, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auch für diesen Krimi gilt, daß man mit der Krimibestenliste weit in der Welt herumkommt. Den Ort Camaho gibt’s zwar nur literarisch, aber die Kleinen Antillen und erst recht die ganze Karibik sind ja echt und wer je dort war, erkennt in den auftauchenden Charakteren und ihren beschriebenen Verhaltensweisen das Lebensgefühl dieser Karibikbewohner wieder und zwar

einerseits in der menschlichen Wärme, die selbst durch Buchstaben beim Leser ankommt und andererseits in der absoluten Kälte, wenn man dort nicht dazugehört, was nicht die Einheimischen bestimmen und einen ausschließen, sondern man selber durch sein arrogantes, besserwisserisches Verhalten.

Und bevor wir zur Geschichte kommen und dem absolut hinreißenden Polizisten Michael ’Digger’ Digson und seiner Kollegin Miss Stanislaus, ist wichtig weiterzusagen, daß dieser Roman zu denen gehört, nach dessen Lesen Sie die Welt mit freundlichen Augen anschauen und gerne mitanpacken möchten, daß sie noch besser wird. Beim Lesen gewinnen Sie Energien, die sich auswirken, wenn auf Seite 460 Schluß ist. Sie wollen einfach was tun! Was Gutes tun.

Jacob Ross, 1956 auf Grenada geboren und seit 1984 in Großbritannien lebend, Autor verschiedener Genres, ist seit seinem ersten Kriminalroman DER KNOCHENLESER auch bei uns eine bekannte Größe, stand lange auf der Krimibestenliste und erreichte 2022 den zweiten Platz des Deutschen Krimipreises. Das aber müßte man gar nicht aufführen, denn SHADOWMAN braucht keine Lobsprüche für die Vergangenheit und eigentlich auch keine Rezension. SHADOWMAN braucht nur eines, daß Sie den Roman in die Hand nehmen, lesen und so schnell nicht wieder aus der Hand geben. Dieses Buch strahlt eine Menschlichkeit aus, die einem gut tut – und ja, ein richtiger Kriminalfall ist auch vorhanden, der es in sich hat und Köpfchen und das gewisse Händchen braucht, was das Paar – denn Digger und Miss Stanislaus sind auf jeden Fall ein Paar, nur kein herkömmliches, er hat eine undurchsichtige Freundin und sie ein Kind von einem anderen. Das allerdings ist ein heikler Fall. Die beiden sind, einigen wir uns darauf, ein seelisches Paar, die sich beim Ermitteln blind verstehen und deshalb erfolgreich Morde aufklären, obwohl ihnen die Oberen und der Justizminister persönlich dauernd Steine in den Weg legen.
Es beginnt mit einem Schuß, den Miss Stanislaus auf den Mann abfeuert, der sie in Jugendtagen vergewaltigt hatte und Vater ihrer Tochter ist, wovon das Mädchen am Anfang des Romans nichts weiß, am Schluß aber die Wahrheit kennt. Der Schuß war für Juba Hurst tödlich und obwohl sie in Notwehr geschossen, hat, möchte der Teil der Vorgesetzten, denen sie und Digger ein Dorn im Auge ist, ihre Entfernung aus dem Dienst, was mit der Suspendierung beginnt. Doch hält das weder sie noch Digger auf.

Das Herrliche am Roman sind die vielschichtigen, besonders lebendigen Charaktere, die man bildlich vor sich sieht, weil auch „die Guten‘“ immer ihre Macken haben und „die Bösen“ intrigant und mörderisch agieren, auch wenn sie die Spitzen der Polizei, Wirtschaft und Politik darstellen – oder sogar dann besonders. Die Handlung ist verzwickt mit mehreren Toten, deshalb beschränken wir uns darauf, daß in dem Fischerort und den nächsten kleinen Inseln die Drogenmafia Einzug hält und so raffiniert vorgeht, daß aus der Bevölkerung niemand etwas mitkriegt, was nicht ganz stimmt. Denn die Frauen, die alten und die jungen, ahnen mehr, als sie selbst wissen und es dauert eben, bis sie bereit sind, ihr Wissen weiterzugeben. Doch, doch, es gibt auch böse Frauen, aber das ist ein Roman, in dem, wie es gestern und bis heute noch gilt, die Machtpositionen von Männern eingenommen wird, wobei die Verquickung und Verstrickung dieser Männer das Aufregende ist, nach außen sind sie nämlich teils die Hautevolee der lokalen Gesellschaft, aber auch die letzten Dahergelaufenen. In den Bergen werden heimlich die Pflanzen angebaut und verarbeitet, die dann – die Inseln liegen günstig – in die USA transportiert werden und das große Geld versprechen. Da gucken manche aus der Bevölkerung lieber weg, wenn sie auch vom finanziellen Segen etwas abbekommen.
Nein, mehr sagen wir jetzt nicht weiter, außer, daß Inseln im Meer liegen und deshalb das Meer und überhaupt Wasser eine große Rolle spielen. Und eben Miss Stanislaus und „Digger“ Digson, die einem ans Herz wachsen und über die man gerne Weiteres liest.

Das ist übrigens mal ein Ermittler, der kein zynischer, vom Leben und der Arbeit geschlagener, leicht zynischer Mann ist, sondern ein junger, der genau weiß, was er nicht will. Irgendwann wird er auch dazulernen, was er will. Aber für’s Erste langt, daß er weiß, was er nicht will und wie er nie sein will.


Die zehn besten Kriminalromane im August 2023  


 1 (–) Garry Disher: Funkloch
Aus dem Englischen
von Peter Torberg
Unionsverlag, 350 Seiten, 24 Euro


Mornington Peninsula. Waldbrände, Vergewaltiger, Landmaschinendiebe, Drogendealer,
Killer – normale Krisen in entgleisendem Klima. Alle Spuren beginnen bei
einem verbrannten Fluchtwagen. Feines Netz der Ermittlungen: Im siebten Roman
mit Inspector Hal Challis und Kollegen dreht sich alles um ein verschwundenes Kind.


2 (4) Nicola Lagioia: Die Stadt der Lebenden
Aus dem Italienischen
von Verena von Koskull
btb, 508 Seiten, 25 Euro

Rom. Am 4. März 2016 folterten und ermordeten die Bürgersöhne Manuel Foffo
und Marco Prato den Handwerker Luca Varani. Anscheinend ohne Grund, aus Lust,
um zu sehen, wie einer totgemacht wird, über mehrere Tage. Tatsachenroman über
das Unerklärbare, das „Das Böse“ genannt wird. Ungeheuer.


3 (2) Yves Ravey: Taormina
Aus dem Französischen
von Holger Fock und Sabine Müller
Liebeskind, 112 Seiten, 20 Euro

Sizilien. Würstchen Melvil und höhere Tochter Luisa krachen nachts beim Ehekittungs-Urlaub
gegen etwas, Beule am Mietauto. Mit tollpatschig-selbstherrlichen
Versuchen, alles richtig zu machen, niemanden zu kränken und alles zu vertuschen,
gerät Melvil immer tiefer in den Schlamassel. Bedrückend komischer Mittelmeer-Noir.



4 (1) Erin Flanagan: Dunkelzeit
Aus dem Englischen
von Cornelius Hartz und Stefanie Kremer
Atrium, 365 Seiten, 25 Euro

„Gunthrum“, Nebraska 1985. Peggy, wilde 16, ist verschwunden. Hal, geistig
eingeschränkt, hatte in derselben Nacht einen Unfall, Blut klebt am Truck.
Alma mütterlich: Hal oder das Gesetz? Das Dorf, puritanisch und versoffen, rottet
sich schon zusammen. Peggys Bruder Milo sieht alles von unten, ziemlich scharf.



5 (3) Yasmin Angoe: Echo der Gewalt
Aus dem Englischen
von Karin Diemerling
Suhrkamp, 424 Seiten, 18 Euro

Ghana, Miami. Bei der Plünderung ihres Dorfes in Ghana wurde Nena Knight
vergewaltigt und als Sklavin verkauft. Jetzt mordet sie selbst: für die Zukunft
Afrikas, Tarnname „Echo“ nach NATO-Alphabet. Als sie auf die psychopathischen
Killer von damals stößt, läuft sie zu Großform auf. Rachegemälde in Blut-Orange.


6 (10) Anjali Deshpande: Mord
Aus dem Hindi
von Almuth Degener
Draupadi, 207 Seiten, 19,80 Euro

Chattarpur, New Delhi. Suryabala, „Sonnenmädchen“, war schön und hatte große
Träume. Jetzt ist sie erstochen, eine Prostituierte unterer Kaste. Officer Adhirath ist
suspendiert, stöbert doch herum. Kastenschranken, Bürokratie, unantastbare Grundbesitzer,
der „ewige Konflikt zwischen Polizei und Bevölkerung“ – Indien hautnah.


7 (–) Jacob Ross: Shadowman
Aus dem Englischen
von Karin Diemerling
Suhrkamp, 462 Seiten, 16,95 Euro

„Camaho“, Karibik. Forensische Wissenschaft und uraltes Wissen, „Digger“ Digson
und Miss Stanislaus rächen Gewalttaten und jagen skrupellose Verbrecher, vereint
in Zuneigung zueinander und zu ihrer wunderbaren Inselwelt, auf der Suche nach
echten Menschen, fit bei der Bekämpfung von Machos, Korrupten und Mördern. Toll.


8 (–) William Boyle:Shoot the Moonlight Out
Aus dem Englischen
von Andrea Stumpf
Polar, 349 Seiten, 26 Euro

Brooklyn 1996, 2001. Zwei Jungs machen Blödsinn, ein Mädchen stirbt, ein Vater
verzweifelt und findet sich wieder, ein Killer … Geschichten vom Schreiben, vom
Schweigen, vom Lügen. Miefend vor Schweiß, Trauer, duftend nach Liebe, Hoffnung
erzählt. Ein Romangewimmel verrannter, einsamer, lebendiger Figuren, best of Boyle.


9 (–) Denise Mina: Fester Glaube
Aus den Englischen
von Karen Gerwig
Ariadne/Argument, 299 Seiten, 24 Euro

Podcast-Universe. „Wahre Verbrechen“ jagen Anna und Fin und „dokumentieren“ sie
per Podcast. Als eine Youtuberin in einem Schloss eine Schatulle mit der Wahrheit
über Jesus drin filmt und daraufhin aus der virtuellen wie realen Welt verschwindet,
stürmen Anna und Fin los. Dan-Brown-Parodie vom Feinsten, dazu noch spannend.



10 (8) Anthony McCarten: Going Zero
Aus dem Englischen von
Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié
Diogenes, 454 Seiten, 25 Euro

Washington D.C., Boston. Wer sich der geballten Überwachungsmacht von CIA und
WorldShare 30 Tage lang entziehen kann, bekommt drei Millionen. Kann Bibliothekarin
Kaitlyn das schaffen? Multimilliardär Cy Baxter phantasiert vom publicprivate Überwachungsstaat;
Kaitlyn setzt auf Liebe und Vertrauen. Lebe verborgen!

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