„NS-Aufarbeitung und Homosexuellenverfolgung“ in einer Veranstaltung des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am 11. Januar, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Seit 10 Tagen wissen wir von dieser Veranstaltung und haben bis heute gebraucht, davon zu künden, was schlicht daran liegt, daß wir nicht wissen, was dort wirklich stattfindet. Das Thema selbst ist völlig eindeutig, denkt man erst einmal, aber dann steht in der Unterzeile:“Ein Gespräch mit Filmausschnitten aus »Der Staat gegen Fritz Bauer«.
Dieser Film ist ja erst am 1. Oktober 2015 in die deutschen Kinos gekommen und behandelt die Zeit der immer noch jungen Bundesrepublik Ende der 50er und Folgejahre. Wie will man also an einem Film, der allein die verlängerte Nachkriegszeit im Blick hat, etwas über die NS-Zeit und deren Verfolgung von Homosexuellen herausbekommen? Da stimmt etwas nicht, fällt einem sofort auf, und auch, daß es guter Brauch ist, den Fehler erst einmal im eigenen Hirn zu suchen.
Da wird man schnell fündig. Denn eine NS-Aufarbeitung kann es natürlich nicht zu NS-Zeiten gegeben haben, sondern erst danach. Wäre also der erste Teil geklärt und die Kongruenz (Konkordanz) mit dem Film über Fritz Bauer hergestellt. Bleibt die „Homosexuellenverfolgung“. Welche? Die unsittsam bekannte zu Zeiten des Nazi-Terrors? Oder die latente Homosexuellenverdrängungzu Zeiten der Adenauerrepublik? Könnte man zu dieser Zeit, in der der Paragraph 175 StGB noch galt, der gleichgeschlechtliche Sexualakte unter Verfolgung und Strafe stellte, im gleichen Sinne wie der NS-Zeit von Homosexuellenverfolgung sprechen? Verniedlicht dies nicht zugleich die Verfolgung von Homosexuellen unter den Nazis, die, wenn es paßte, in das KZ Sachsenhausen kamen und, wenn es wiederum paßte, genauso ermordet wurden wie andere?
Wir wissen also nicht genau, was bei der folgenden Veranstaltung zum Thema wird:
NS-Aufarbeitung und Homosexuellenverfolgung
Ein Gespräch mit Filmausschnitten aus »Der Staat gegen Fritz Bauer«
Montag, 11. Januar 2016, 18:15 Uhr
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Westend
Norbert-Wollheim-Platz 1, Casino am IG Farben-Haus, Raum 1.811
mit Dr. Nicolas Berg, Frankfurt am Main/Leipzig, apl. Prof. Dr. Werner Konitzer, Frankfurt am Main und Dr. Andreas Pretzel, Berlin
Im Einladungstext heißt es dann:
„Fritz Bauers Leistung war es, Strafverfahren gegen NS-Verbrecher eingeleitet zu haben, die von der breiten Öffentlichkeit abgelehnt wurden. Der Spielfilm Der Staat gegen Fritz Bauer thematisiert diese beeindruckende Haltung Bauers am Beispiel seiner illegalen Mithilfe bei der Ergreifung Eichmanns. In einem zweiten Strang des Films wird die Strafverfolgung von Homosexuellen nach dem § 175 in den 1950er und 1960er Jahren als gesellschaftlich weithin akzeptierte Praxis aufgegriffen. In der Veranstaltung soll gefragt werden, ob die Verbindung dieser beiden Themen historisch zutreffend ist und welche Auswirkungen sich daraus für die erinnerungsgeschichtlichen Debatten der Folgejahre ergaben.“
Was weiß man jetzt? Tatsächlich soll also die Frage von Verfolgung von Homosexuellen in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre behandelt werden. Was hat Fritz Bauer damit zu tun? Fritz Bauers Leistung war es, sagt dann der Text, daß er Strafverfahren gegen NS-Verbrecher eingeleitet hat, was der Film DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER am Beispiel von Adolf Eichmann aufzeigt. Der Film, dessen Drehbuch der Regisseur Lars Kraume und Olivier Guez verantworten, hat als zweiten Strang also die Strafverfolgung von Homosexuellen nach dem § 175. Die hat es gegeben und die gesellschaftliche Entwicklung hat diesen Paragraphen immer mehr ausgehöhlt, so daß er in einzelnen Schritten reduziert wurde, bis er 1994 in jeglicher Richtung abgeschafft wurde.
Was will nun die Veranstaltung? Die will fragen, ob die Verbindung der beiden Themen: also Strafverfahren gegen NS-Verbrechen und Homosexuellenverfolgung historisch zutreffend ist? Und hier setzt unser Denken ein und gleichzeitig aus. Was heißt Verbindung? Ist das inhaltlich gemeint? Das kann ja wohl nicht sein, zumindest verstehen wir nicht, wo die inhaltliche Verbindung sein soll. Aber als historisches Nebeneinander, nämlich sowohl NS-Strafverfolgung, die gerne behindert wurde, und Homosexuellenverfolgung, die immer seltener wurde, als historisches Nebeneinander ist das doch völlig unspektakulär. Und dann sollen sich also auch noch Auswirkungen auf die erinnerungsgeschichtlichen Debatten der Folgejahre ergeben? Über Fritz Bauer kein Wort. Was hat das also mit Fritz Bauer zu tun? Er als kleinster gemeinsamer Nenner beider Sachkomplexe? Sollen die Themen NS-Strafverfolgung und Homosexuellenverfolgung an der Person Fritz Bauer exemplifiziert werden?
Wir sind gespannt. Gehen hin und berichten darüber !
Warum wir bei Veranstaltungen des Fritz Bauer Instituts, die das Thema HOMOSEXUALITÄT und FRITZ BAUER koppeln, so vorsichtig sind, hat Gründe. Kollege Kurt Nelhiebel hatte dazu gerade seine Einschätzung formuliert und Constanze Weinberg dies fortgesetzt. Wieso ich seit spätestens dem 9. Mai 2014 – der Pressekonferenz zur Fritz Bauer Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt - dieses Ineinssetzen von Begriff und Name für eine Fritz Bauer Verfolgung durch den Archivleiter des Instituts, Werner Renz, halte, kommt im nächsten Artikel. Fortsetzung folgt also.
Info:
NS-Aufarbeitung und Homosexuellenverfolgung
Ein Gespräch mit Filmausschnitten aus »Der Staat gegen Fritz Bauer«
Montag, 11. Januar 2016, 18:15 Uhr
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Westend
Norbert-Wollheim-Platz 1, Casino am IG Farben-Haus, Raum 1.811
mit Dr. Nicolas Berg, Frankfurt am Main/Leipzig, apl. Prof. Dr. Werner Konitzer, Frankfurt am Main und Dr. Andreas Pretzel, Berlin
Werner Konitzer ist kommissarischer Direktor des Fritz Bauer Instituts. Am Institut bearbeitet er seit 2007 den Schwerpunkt Moral und Nationalsozialismus sowie Erinnerung und moralische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.
Nicolas Berg ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon Dubnow Institut in Leipzig und für das Wintersemester 2015/2016 Gastprofessor am Fritz Bauer Institut. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen bei historischen, historiographischen und methodischen Fragen zum Holocaust und dessen Erinnerungsgeschichte.
Andreas Pretzel ist Kulturwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt Universität sowie der Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft. Seit 2000 ist er Bearbeiter des Projekts »The Fate of Persecuted Homosexuals after WW II«.
Eine Kooperation mit dem Förderverein Fritz Bauer Institut e.V.
DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER
Spielfilm, D 2015, 105 Min.
Regie: Lars Kraume, Drehbuch: Lars Kraume und Olivier Guez
Mit Burghart Klaußner, Ronald Zehrfeld, Sebastian Blomberg, Lilith Stangenberg, u.a.
www.derstaatgegenfritzbauer.de
Kontakt
Fritz Bauer Institut
Dorothee Becker (Sekretariat)
Norbert-Wollheim-Platz 1
60323 Frankfurt am Main
Tel.: 069.798 322-40
Fax: 069.798 322-41
info(at)fritz-bauer-institut.de
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Frankfurt am Main (Weltexpresso) – http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=3208:heute-in-der-finkenhofstrasse-17&catid=80:heimspiel&Itemid=472
http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=3204:ein-kleiner-und-ein-grosser-rufmord&catid=80:heimspiel&Itemid=472
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