ALLES SCHWEIGT von Jordan Harper auf Platz 2

Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im November 2023, Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Unheimlich dieser Kriminalroman. Während mein Kopf und mein Gemüt mir sonst immer signalisieren, daß ich von einem fiktiven Geschehen lese – was auch wichtig ist, angesichts der Morde und meist übel zugerichteten Leichen, die ja lebendige Menschen waren – las ich diese 68 Kapitel wie einen Tatsachenbericht, obwohl ja noch nicht einmal eine Icherzählerin dies suggeriert; ich mußte mein Lesen immer künstlich zurechtrücken, daß nicht Mae erzählt, sondern ein auktorialer, nein ein personaler Erzähler.

Aber diese literaturwissenschaftlichen Hinweise legen wir gleich ad acta, weil nebensächlich. Und doch: Man liest diese ständig um Mae Pruett, eine gutbezahlte Krisenspezialistin in einer entsprechenden Agentur für die Reichen und die Schönen in Hollywood, kreisende Geschichte, in der eine bildhafte Sprache verwendet wird und viel wörtliche Rede vorkommt, in einem Rutsch durch. So ging es wenigstens mir, die ich das Buch nicht aus der Hand legen mochte.

Ob das am Thema liegt, das im Filmstaat Hollywood Metoo mit Korruption verbindet? Sicher auch, aber eben auch daran, daß es einfach auf ein großes Publikum hin gut geschrieben ist. Allein das Metier reizt, denn wir haben in den letzten Jahren ja immer nur die Verlautbarungen gehört, die beispielsweise Mae in gekonnter Manier an die Öffentlichkeit brachte: daß X keine Frau geschlagen habe, Y keine Minderjährige verführt und zur Abtreibung gezwungen und Z nichts mit dem Überfall, ja Mord an seiner langjährigen Geliebten zu tun hat, saß er doch zur Mordzeit im Büro von Mae und besprach mit ihr seine nächste Tournee! Wer würde das Alibi einer unbescholtenen Frau anzweifeln?

Es geht also um die VIPs, die Hollywoodstar, für die sich jeder interessiert, weshalb die Journalistenmeute – interessant, fällt mir gerade auf: von Paparazzi spricht man heute kaum mehr, was vielleicht damit zu tun hat, daß ein Blick ins Internet und soziale Medien schon reicht, um die Personen nackt zu sehen und über sie schreiben zu können. Mae ist also eigentlich eine von diesen widerlichen Wahrheitsverdreherinnen, allerdings behält sie sich vor, daß sie größere Schweinereien nicht mitgemacht, tja, aber doch toleriert hat.

Und nun das. Ihr Chef, den sie schätzt, er sie auch, benimmt sich bei einem privaten Treffen merkwürdig und fordert ihre Intelligenz und Erfahrung heraus, wie sie, ohne daß ein Dritter etwas kapieren könnte, durch Feststellungen der Wahrheit näher kommt. Aber nur näher. Denn zum nächsten Treffen, wo die gemeinsame Zusammenarbeit an diesem geheimnisvollen Fall beginnen sollte, kommt er nicht; unterwegs ist er ermordet worden. Jetzt werden seine Hinweise für sie um so wichtiger und gleichzeitig spürt sie, wie ihre Agentur sie umgarnt, aufs Nebengleis schiebt, auf keinen Fall eine Mordermittlung will.

So nicht mit Mae, denn ihre menschliche und fachliche Substanz kommt unter diesen Bedingungen erst recht zum Blühen. Die Liebe auch. Naja, das ist zu hoch gegriffen, aber der einzige, dem sie traut und der sie unterstützt ist Chris Tamburro, ein doppelter Ex: als Polizist und Liebhaber, aber Freund ist er geblieben und da die Gegner so mächtig sind und die zwei eigentlich kleine Lichter, kommt man sich zwangsläufig wieder näher. Aber das ist ein Nebengleis, denn die eigentlich Geschichte ist das brisante. Doch wie es in Krimis immer wieder ist, darf man gerade die nicht verraten, denn sie ist ja das Geheimnis, hinter das mit Akribie, körperlichem Einsatz und einer sich steigernden Wut am Ende die beiden Ermittler und Wiederliebenden kommen. Damit haben sie auch den Mord am Vorgesetzten aufgeklärt.

Was man aber sicher herausposaunen darf, ist, daß es einerseits um Vergewaltigungen geht, verschärft an Minderjährigen, hier konkret eine schwanger gewordene Minderjährige, um erzwungene Abtreibung oder heimliche Austragung eines Kindes. Und andererseits um die höhergestellten mächtigen Bosse, denen gewisse Damen bei ihrem unsittlichen, verbrecherischem Tun helfen, und die ganzen Firmenbelegschaften auch, die in Agenturen arbeiten, die zur Verschleierung der Wahrheit, ja zur Fälschung von Tatsachen von den Bossen gut bezahlt, alles daran tun, erfolgreich zu sein.

Mit Mae ist somit eine auf die Gegenseite, die der Wahrheit und Menschlichkeit gerückt, die sich im Nachhinein immer mehr für ihre frühere Tätigkeit schämt, was sie nicht muß, denn nur ihre Erfahrung mit den Lügen und Verwischungen haben sie zur Aufklärung prädestiniert!

Starkes Ding!