DIE SIEBEN MONDE DES MAALI ALMEIDA von Shehan Karuntatilaka auf Platz 10

Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im März 2024, Teil 4
 
Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im März kam dieser in wahrsten Sinne bunte Roman gleich auf den 4. Rang der Krimibestenliste. Bunt ist der Inhalt, das Geschehen, die Personen und auch die Gestaltung des Einbandes, wie man sieht. Der jähe Absturz auf Platz 10 bedeutet nur, daß beim Punkteverteilen der Jurymitglieder der Roman gleich am Anfang sehr gelesen wurde, zudem bedeutet Platz 10 nicht unbedingt, daß der Krimi im April ausscheidet; das ist zwar wahrscheinlich, aber wir haben schon die abenteuerlichsten Wiederauferstehungen erlebt. Von daher finden wir ja auch das Verfolgen der monatlichen Krimibestenliste absolut spannend und tragen dazu bei, daß Sie das auch können: das Verfolgen, hoffentlich auch das Lesen!


Eigentlich müßte ja das Titelbild rabenschwarz sein, denn zu uns spricht auf 533 Seiten ein Toter!

„Hättest du eine Visitenkarte, würde darauf stehen:
MAALI ALMEIDE
Fotograf. Spieler. Schlampe“ und fährt fort!


„Hättest du einen Grabstein, würde darauf stehen:
MALINDA ALBERT KABALANA
1955-1990

Aber du hast beides nicht...Und du weißt jetzt, was andere nicht wissen. Du hast die Antworten auf folgende Fragen: gibt es ein Leben nach dem Tod? Und wie ist es so?“


So locker führt uns der Autor ins Geschehen ein, das sich dann rasant entwickelt, so daß man auf der Hut sein muß, auch alles mitzubekommen, denn nach dem Tod ist nicht die große Ruhe eingekehrt, stattdessen geht es besonders hektisch zu, denn der Icherzähler Maali/Malinda ist nicht einverstanden, damit daß er tot sein soll; der emsige und zuverlässige Fotograf sagt dem Jenseitsverwalter darum aufgebracht: „Ich sage nur, ich kann nicht hierbleiben, ich habe Fotos abzugeben. Ich bin in einer festen Beziehung.“ Doch, wem sagt er das, wo? Es ist eine Frau im Jenseits, die ihm antwortet, daß keiner ‚rüber‘ will, nicht mal Selbstmörder. „Meinen Sie, ich wollte sterben? Meine Töchter waren acht und zehn, als sie mich erschossen haben. Was soll man da machen? Beschwerden bringen nichts…“

Doch dann die Hoffnung für den toten Fotografen: er bekommt sieben Monde Zeit. „Sieben Monde heißt sieben Nächte. Sieben Sonnenuntergänge. Eine Woche. Mehr als genug Zeit.“ In dieser Zeit kann er in sein eigenes Leben schauen, Kontakt aufnehmen mit den Lebenden, wobei ihm Zweierlei das Wichtigste ist. Wer ist sein Mörder? Er weiß es nicht, hat die Tat nicht mitbekommen und ist mehr als neugierig, ja versessen drauf, dies zu erfahren. Das andere ist, seinen Auftrag zu vollenden und die bestellten, aber noch nicht gelieferten Fotos abzugeben, von denen er weiß, welch brisante Aufnahmen das sind und wem sie nützen, vor allem aber, wem sie schaden, denn er ist ein gewitzter Fotograf und hat Bilder geschossen, an die andere nicht herankamen. Fotos sind seine Leidenschaft, nun gut, Frauen auch, aber nein, gerade nicht, denn er ist ein schwuler Fotograf, was zu seinen Zeiten in Colombo, Sri Lanka, genau: die Zeit, in der ein totenreicher Bürgerkrieg herrschte, einem Todesurteil gleichkam, weshalb er nach außen anders lebte, aber dem Tode immer nahe, denn er war und ist vor allem Kriegsfotograf. Die Bilder, die den einen nützen, schaden den anderen. Und so konnte er immer seinen Reibbach machen! Und jetzt? Jetzt kann er nicht mehr sich zwischen den Schwierigkeiten hindurchwinden, jetzt geht es in die Vollen!


Das fängt schon mit den potentiellen Verdächtigten an seinem Tod an. Wer käme denn nicht in Frage? Nur wenige! Er hat bei seiner Glücksspielsucht zusätzlich viele gegen sich aufgebracht, die Liste der Verdächtigen an seinem Tode ist lang. Aber er wird sie abarbeiten in diesen sieben Monden. Natürlich nicht alleine. Es gibt nämlich zwei Menschen, die noch leben und denen er vertraut. Denen will er die Information zuspielen, wo seine Fotos versteckt sind, die der Welt den kriegerischen Zustand von Sri Lanka offenlegen und im Bild zeigen, wer politisch dafür verantwortlich ist. Was hier so schnöde klingt, macht aber literarisch ein Faß auf, denn es beginnt ein Tohuwabohu an Ereignissen und Menschen, wo Sie den Faden nicht verlieren dürfen, was in der herrlichen absurden Geschwätzigkeit des Textes passieren könnte, den man einfach genießen muß, dann erfährt man auch alles. Was man nicht darf, wäre mit den logischen scharfen Augen des Westlers diese Geschichte auf Normalmaß zurechtzustutzen.


Uns hat bei den Lobsprüchen der literarischen Kollegen über dieses Buch, die wir teilen, am besten THE TIMES gefallen: „Es gibt nicht viele Romane, bei denen man zugleich an Agatha Christie, Salman Rushdie und John le Carré denken muß. Dieser ist einer.“ Er wurde zudem ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2002, vergleichbar unserem Deutschen Buchpreis, nur mit einer sehr viel zahlreicheren Konkurrenz aller auf Englisch erschienenen Romane eines Jahres.


Die zehn besten Kriminalromane im März 2024

1 (2) Hervé Le Corre:
Durch die dunkelste Nacht
Aus dem Französischen von Anne Thomas
Suhrkamp, 340 Seiten, 17 Euro

Bordeaux. Ein muttergeschädigter Frauenmörder, ein desillusionierter Kriminalpolizist und eine
junge alleinerziehende Mutter, geprägt von Gewalterfahrung, treiben
durch Spätwinternächte voller Schlamm, Regen und Depression. Deutsche Entdeckung
eines der bekanntesten französischen Krimiautoren und seiner schwarzen Ästhetik.


2 (1) Arne Dahl: Stummer Schrei
Aus dem Schwedischen von
von Kerstin Schöps
Piper, 458 Seiten, 17 Euro

Bordeaux. Ein muttergeschädigter Frauenmörder, ein desillusionierter Kriminalpolizist und
eine junge alleinerziehende Mutter, geprägt von Gewalterfahrung, treiben
durch Spätwinternächte voller Schlamm, Regen und Depression. Deutsche Entdeckung
eines der bekanntesten französischen Krimiautoren und seiner schwarzen Ästhetik.


3 (–) Danya Kukafka:
Notizen zu einer Hinrichtung
Aus dem Englischen von Andrea O’Brien
Blumenbar, 348 Seiten, 22 Euro

Upstate New York. In zwölf Stunden wird Ansel Packer hingerichtet. Zeit für den
Serienmörder, sein Leben zu rekapitulieren. Kukafka spiegelt es in den Schicksalen
dreier Frauen, die seinen Weg kreuzen mussten. Omnipräsente patriarchale Gewalt
und ihre Zerstörungen: Keine Hinrichtung kann sie heilen. Eindringlich.


4 (3) Robert Galbraith: Das strömende Grab
Aus dem Englischen von Wulf Bergner,
Christoph Göhler, Kristof Kurz
Blanvalet, 1292 Seiten, 29,90 Euro


London, Norfolk. Detektivin Robin ermittelt undercover in einer Psycho-Sekte.
Ein Horrortrip: Gewalt und Gehirnwäsche, Geisteranbetung und erzwungener
Geschlechtsverkehr halten die wie Sklaven schuftenden Gläubigen auf Linie.
Joanne K. Rowling alias Robert Galbraith dreht kunstvoll an der Angstschraube.


5 (–) Fabio Stassi: Die Seele aller Zufälle
Aus dem Italienischen
von Annette Kopetzki
Edition Converso, 284 Seiten, 24 Euro


Rom. Nur wenige kaum verständliche Worte hat Bibliotherapeut und Detektiv Vince
Corso, um ein Buch aufzuspüren, das der Schlüssel zum geistigen und vermutlich
sogar finanziellen Vermächtnis eines Alzheimerkranken sein soll. Detektion mit den
Wundern des Lesens und der Imagination. Vor der Tür: engstirniger Ausländerhass.


6 (–) Patrícia Melo: Die Stadt der Anderen
Aus dem Portugiesischen
von Barbara Mesquita
Unionsverlag, 398 Seiten, 26 Euro

São Paulo. An der Praça Matriz kommen die Obdachlosen, Junkies, Waisenkinder
der Metropole zusammen. Unverdrossen rennen sie gegen Hunger, Polizeiterror,
Vertreibung, staatliche „Fürsorge“ an, sehnsüchtig nach Glück und Zukunft.
Brasiliens Elend. Ode an die Überlebenskraft der vermeintlich Schwächsten.


7 (5) Candice Fox: Stunde um Stunde
Aus dem Englischen
von Andrea O’Brien
Suhrkamp, 475 Seiten, 18 Euro

Los Angeles. Ryan und Elsie Delaney haben Geiseln im Labor des LAPD genommen
und drohen, stündlich einen forensischen Beweis zu vernichten, bis das Verschwinden
ihrer Tochter vor zwei Jahren aufgeklärt ist. Detective Hoskins und Anwärterin
Lamb müssen rasch und ohne Regeln ermitteln, um ihre Cop-Identität zu retten.


8 (10) Max Annas:
Berlin, Siegesallee
Rowohlt
285 Seiten, 22 Euro

Berlin 1914, Douala. Suffragette Florentine und die drei Schwarzen Ernst, Joseph und
Friedrich haben gute Gründe für ein Fanal gegen das Kaiserreich: Massenmord in den
Kolonien, rassistische und chauvinistische Demütigung. Zunächst töten sie Militärs,
dann wollen sie dem Herrscher selbst an den Kragen. Historische Phantasie.


9 (–) Les Edgerton: Primat des Überlebens
Aus dem Englischen von
Ango Laina und Angelika Müller
Pulp Master, 342 Seiten, 16 Euro

South Bend. Kurz vor Eröffnung des eigenen Friseurladens wird Ex-Einbrecher Jake
Bishop von einem Kumpel erpresst. Der Einbruch, der Jakes Bruder vor dem Knast
und ihn vor Lebenslänglich bewahren soll, geht gründlich schief. Eine Unbeteiligte
stirbt. Die Beseitigung ihrer Leiche führt immer tiefer ins Desaster. Rabenschwarz.


10 (4) Shehan Karunatilaka:
Die sieben Monde des Maali Almeida
Aus dem Englischen von Hannes Meyer
Rowohlt, 543 Seiten, 30 Euro
Colombo, Sri Lanka. Der schwule Spieler und Kriegsfotograf Maali Almeida ist tot.
Sieben Tage hat er in der Zwischenwelt der Geister, um Vorgeschichte und Ursache
seines Todes aufzuklären. Zwischen Liebsten, Verwandten, Mördern, Politikern und
Dämonen versucht er, im Bürgerkriegschaos seines Landes Sinn zu erkennen.
Krimibestenliste März 2024