Galbraith, Fox, Annas, Edgerton und Karuntatilaka müssen gehen

Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im April 2024, Teil 2
 
Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Diesmal verabschieden sich wieder einmal gewichtige Werke. Wer sich wirklich dafür interessiert, sollte unten die Links nutzen, um die ausführlichen Rezensionen zu lesen. Auf die Schnelle versuchen wir es hier mit einer Kurzfassung.

DAS STRÖMENDE GRAB von Robert Galbraith ist mit seinen 1292 Seiten das beste Beispiel für die Gewichtigkeit. Man glaubt nicht, was man alles lernt bei diesem Krimi, der einen Horrortrip für Detektivin Robin bedeutet, denn sie muß undercover in einer Psycho-Sekte ermitteln, was bedeutet, daß sie einerseits so tun muß, als ob sie überzeugte Anhängerin der Sektenführer ist und andererseits herausbekommen, was hier läuft, denn nach außen sieht es tatsächlich so aus als ob die Anhänger und vor allem Anhängerinnen freiwillig hier die schlimmsten Arbeiten tun, reine Ausbeutung, aber freiwillig. Doch dann bekommt sie die Risse mit, die Falschheiten und die Zwischenebene, die Menschen, die ebenfalls nach außen die schrecklichen Unterwerfungsgesten ‚abliefern‘, aber im Inneren eine Gegenwehr aufbauen. Und dann gibt es noch die sexuelle Ausbeutung, eigentlich nennt man das Vergewaltigung, was hier los ist, doch das Sektenoberhaupt glaubt, daß ihm die weiblichen Mitglieder zur Verfügung stehen. Das volle Programm. Dennoch hätte Robin das nicht geschafft, hätte sie nicht in Kopfarbeit ihre körperlichen Strapazen überwunden und mental durchgehalten. Bewundernswert und erfolgreich dazu.


STUNDE UM STUNDE von Candice Fox nahm den siebten Rang ein, im Februar war der Krimi auf dem fünften Platz eingestiegen. Die Australierin hat nun für sich die USA als Ort ihrer Verbrechen und deren Aufklärung entdeckt. Es geht um die schlampige Ermittlung der LAPD, das ist Polizeibehörde des Los Angeles Police Department, die nach der verschwundenen, entführten oder ermordeten Tochter, die von ihren Eltern gesucht wird, suchen sollten. Die Eltern machen nun Druck und wählen eine sehr zwielichtige Methode. Sie besetzen das forensische Labor der Polizei und drohen nicht nur, sondern vernichten die ersten Laborproben, die als Beweisstücke für die Überführung von Mördern unabdingbar sind. Werden sie vernichtet, gehen die Täter straffrei aus. Eine schreckliche Erpressung.

Aber wie Candice Fox diese Verwirrung löst und tatsächlich die Tochter gefunden wird, aber ganz gewiß nicht von der Polizei!, das ist so witzig und komisch dazu, daß man bei allen schrecklichen Ereignissen doch seinen Spaß hat. Richtig hinterfotzig.


Max Annas hat mit BERLIN, SIEGESALLEE einen sehr ungewöhnlichen historischen Kriminalroman vorgelegt. Da geht es zurück ins Kaiserszeiten, allerdings mit einer sehr modernen Attitüde. Denn der geheime Lehrplan sind die menschlich zutiefst negativen Auswirkungen des deutschen Kolonialismus, für die der deutsche Kaiser steht, weshalb eine zusammengewürfelte Gruppe ihn ermorden will. Das ist alles noch vor dem ersten Weltkrieg und ernst gemeint. Es sind drei Schwarze, die aus allen möglichen Richtungen kommen, die die Grundstruktur bildet. Der eine, Joseph, ist aus Afrika,aus Kamerun, gebildet und Freund einer deutschen Familie, der andere ist Ernst aus Deutsch-Südwest, , ein Kammerdiener bei einem Künstler und der Dritte , Friedrich, ist zwar schwarz und in Deutschland geboren, aber sein Vater kommt eben nicht aus Afrikas Kolonien, sondern ist ein US-Amerikaner.

Doch was wären die drei Männer ohne die Frau, die alle an der Stange hält, die adlige junge Frau, Florentine vom Baum, die einerseits glühende Frauenrechtlerin ist und eine Führungsfigur, die – völlig absurd, aber ernst gemeint – den ersten Soldaten außerhalb des Hauses auf der Straße ermordet, dann den Zweiten. Doch nichts passiert die Öffentlichkeit nimmt das gar nicht zur Kenntnis. Also soll es der Kaiser sein. Da wir wissen,d aß dieser den Ersten Weltkrieg einläutete, wissen wir auch,d aß dies dem Quartett nicht gelang. Es bleiben zwiespältige Gefühle.


Les Edgerton hat mit PRIMAT DES ÜBERLEBENS im März den neunten Rang eingenommen, ist aber auch gleich im April wieder runter von der Liste. Ein spannend zu lesender Krimi, der einen mit einem ungewöhnlichen Sujet. Es geht um Jake Bishop, der aus dem Knast kommt und nie wieder hinein will. Er will ein bürgerliches Leben führen und hat einen eigenen Frisiersalon eröffnet. Doch die Vergangenheit holt ihn ein, denn ein Knastkumpel, dem er sein Leben verdankt, weil er im Gefängnis fertiggemacht werden sollte, holt seine Bringschuld ein. Er soll, weil nur er es so raffiniert kann, einen Schmuckhändler ausrauben. Eigentlich will er nicht, absolut nicht, aber, was bleibt ihm übrig?

Raffiniert führt uns der Autor erst mal in die Irre, weil alles für Jake Bishop spricht, doch dann bricht an allen Fronten alles zusammen und Jake kehrt dahin zurück, bei dessen Herauskommen wir ihn kennengelernt hatten: dem Gefängnis.

Der Roman DIE SIEBEN MONDE DES MAALI ALMEIDA von Stephan Karuntatilaka, im Februar auf Platz 4 eingestiegen, im März auf Platz 10, gehört zu den verrücktesten Krimis, weil er völlig glaubwürdig uns in Zwischenwelten führt. Er ist Fotograf, Kriegsfotograf, dieser Maali Almeida, der bisher in den undurchsichtigen Verhältnissen in Colombo, Sri Lanka allen tödlichen Gefahren entging, bis es ihn doch erwischt hat. Allerdings mit Absicht. Nun kommt er in diese Zwischenwelt, wo sich entscheiden wird, ob er seiner Sünden ledig sein wird und ins Paradies kommt oder ob er büßen muß.
Er weiß nicht, wer ihn umgebracht hat, noch warum. Er hat jetzt sieben Tage und Nächte, um dies herauszubekommen und läßt tatsächlich nichts unversucht. Das ist ein schlüssiger, gleichwohl phantastischer Roman, der an die schrecklichen Zeiten Sri Lankas erinnert.

Die zehn besten Kriminalromane im April 2024

 
1 (–) Louisa Luna: Abgetaucht
Aus dem Englischen
von Karin Diemerling
Suhrkamp, 457 Seiten, 18,95 Euro

„Ilona“, Oregon. Vor Dekaden ist Footballstar Zeb aus dem Stadion weggerannt. Jetzt
soll Alice Vega den Abgetauchten in Ilona suchen, stößt auf den Kleinstadtking,
seinen Sheriffkumpel und ein Rassistennest. Legt sich mit ihnen und den Hintermännern
an, schützt die Schwachen und säubert die Stadt. Hardboiled feministisch.


2 (6) Patrícia Melo: Die Stadt der Anderen
Aus dem Portugiesischen von
von Barbara Mesquita
Unionsverlag, 398 Seiten, 26 Euro

São Paulo. An der Praça Matriz kommen die Obdachlosen, Junkies, Waisenkinder
der Metropole zusammen. Unverdrossen rennen sie gegen Hunger, Polizeiterror,
Vertreibung, staatliche „Fürsorge“ an, sehnsüchtig nach Glück und Zukunft.
Brasiliens Elend. Ode an die Überlebenskraft der vermeintlich Schwächsten.


3 (3) Danya Kukafka:
Notizen zu einer Hinrichtung
Aus dem Englischen von Andrea O’Brien
Blumenbar, 348 Seiten, 22 Euro

Upstate New York. In zwölf Stunden wird Ansel Packer hingerichtet. Zeit für den
Serienmörder, sein Leben zu rekapitulieren. Kukafka spiegelt es in den Schicksalen
dreier Frauen, die seinen Weg kreuzen mussten. Omnipräsente patriarchale Gewalt
und ihre Zerstörungen: Keine Hinrichtung kann sie heilen. Eindringlich.



4 (1) Hervé Le Corre:
Durch die dunkelste Nacht
Aus dem Französischen von Anne Thomas
Suhrkamp, 340 Seiten, 17 Euro

Bordeaux. Ein muttergeschädigter Frauenmörder, ein desillusionierter Kriminalpolizist und
eine junge alleinerziehende Mutter, geprägt von Gewalterfahrung, treiben
durch Spätwinternächte voller Schlamm, Regen und Depression. Deutsche Entdeckung
eines der bekanntesten französischen Krimiautoren und seiner schwarzen Ästhetik.


5 (5) Fabio Stassi: Die Seele aller Zufälle
Aus dem Italienischen
von Annette Kopetzki
Edition Converso, 284 Seiten, 24 Euro

Rom. Nur wenige kaum verständliche Worte hat Bibliotherapeut und Detektiv Vince
Corso, um ein Buch aufzuspüren, das der Schlüssel zum geistigen und vermutlich
sogar finanziellen Vermächtnis eines Alzheimerkranken sein soll. Detektion mit den
Wundern des Lesens und der Imagination. Vor der Tür: engstirniger Ausländerhass.


6 (–) Till Raether:
Danowski – Sturmkehre
Rowohlt
303 Seiten, 18 Euro

Hamburg, Dänemark. Danowskis Chef will mehr: Der Fleetmörder der 90er Jahre ist
gefasst, aber nicht alle Opfer sind identifiziert. Eines soll die verschwundene Marie
Kolossa sein. Danowski muss sie finden, sonst wandert er in den Knast. Showdown
auf sturmumtoster Insel – allein dafür muss man Danowskis letzten Fall lesen.


7 (–) Charles den Tex: Repair Club
Aus dem Niederländischen
von Simone Schroth
HarperCollins, 492 Seiten, 14 Euro

Den Haag, Zürich, Dresden. Rentner John Antink repariert, was kaputt ist. Als ihm
jemand eine Waffe vorhält, ist er plötzlich gezwungen, seine Vergangenheit zu entrümpeln.
Vor 1989 hat er erfolgreich KGB-Gelder in den Westen transferiert. Sein
Partner: ein kleiner Russe. Putin-Russland hält Antink im Griff. Hochspannend.


8 (–) Adam Morris: Bird
Aus dem Englischen
von Conny Lösch
Edition Nautilus, 303 Seiten, 20 Euro

Westaustralien. Carson ist jung, attraktiv, schlagfertig, ein Abenteuer wert. Bestimmt
hätte er die Chance, aus dem Knast zu kommen. Aber er ist ein Aboriginal. Es sind
Weiße, blind für seine Welt, die ihn beobachten: der fette Psychologe, der Kunsterzieher,
der Wärter, der lieber Koch wäre. Ganz nüchtern: Rassismus ist Zerstörung.


9 (2) Arne Dahl: Stummer Schrei
Aus dem Schwedischen
von Kerstin Schöps
Piper, 458 Seiten, 17 Euro

Stockholm, Uppland. Terror gegen Klimakatastrophe: Bomben zerfetzen Manager.
Eva Nyman, Chefin der Spezialeinheit NOVA, ahnt, wer hinter den Anschlägen
steckt: ihr ehemaliger Chef, der als Prepper im Wald lebt. Doch auch nachdem er gefasst ist,
gehen die Anschläge weiter. Neue Serie vom Meister intelligenter Spannung.


10 (–) Pascal Garnier: An der A26
Aus dem Französischen
von Felix Mayer
Septime, 117 Seiten, 19 Euro

Region Lille. Seit fünfzig Jahren hausen die Geschwister Bernard und Yolande im
Haus am Stadtrand. Seit man ihr nach Kriegsende den Kopf schor, hat sie es nicht
mehr verlassen. Er ist sterbenskrank. An der Baustelle der A26 begräbt er die Frauen,
die er tötet. Du denkst: Schwärzer ist schwer möglich. Doch, bei Garnier.