REPAIR CLUB von Charles den Tex, neu auf Platz 7

Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im April 2024, Teil 5
 
Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Stark! Zuerst liest man einen ganz normalen, durchaus interessanten Spionageroman, der für die, die seit John le Carré darauf versessen sind, zwar nicht an den Meister heranreicht, der aber durchaus gut lesbar ist. Und dann passiert etwas, was die ganze bisherige Handlung, und damit Gewißheit für den Leser, über den Haufen wirft; und damit auch den Helden und pensionierten Geheimdienstchef John Antink aus den Angeln hebt.

Was das ist, darf natürlich nicht verraten werden, aber ab diesem Moment liest man gespannt wie eine Feder weiter.

Und nun von vorne. Der Buchtitel verweist auf die vierköpfige Unternehmung, in den Niederlanden einen örtlich ständig wechselnden Reparierbetrieb zu betreiben, wo alle die Leute, die ihre kaputten Geräte nicht durch sofortigen Neukauf ersetzen wollen, endlich ihre Haushaltsgeräte wiederhergestellt bekommen. Noch dazu zu einem günstigen Preis, weil den Vieren, von denen am Anfang gleich einer erschossen wird, das Reparieren Spaß macht. Und so ist es erst einmal nicht merkwürdig, als einer mit einer Schreibmaschine in der Tüte daherkommt und direkt zu John Antink strebt und ihn auf Deutsch fragt: „Max Danzler, sie sind doch Max Danzler?“, was John einen Heidenschrecken einjagt, regelrecht starr werden läßt mit der Folgerung: „Vera anrufen“.

Vera ist seine Frau, die ein Leben lang auf ihn verzichten mußte, denn er war in seiner Geheimdiensttätigkeit ständig unterwegs. Aber sie ist der Anker in seinem Leben, schon deshalb, weil er eigentlich Männer liebt, sich aber dies nie erlauben konnte, fast nie, weil er erpreßbar gewesen wäre. Und so hat Vera ihm den Rücken freigehalten, hat auch mit seiner Mutter, einer verschworenen Kommunistin, guten Kontakt gehalten.

Keiner kann eigentlich noch wissen, wer Max Danzler war, weil er diesen Namen nur bei seiner Geheimdiensttätigkeit in den letzten Jahren der DDR in Dresden verwendet hatte, wo er auch Wladimir, den heutigen russischen Präsidenten als russischen Geheimdienstler kennengelernt hatte. Aber noch sind wir im Reparaturbetrieb und der Besucher mit russischem Akzent übergibt zur Reparatur die Maschine, eine Robotron aus der DDR. Später findet John im Inneren einen Zettel mit einem Code, der aus Zahlen und Buchstaben besteht, den er knackt, allerdings nutzt ihm das jetzt nichts mehr, den der Überbringer der Schreibmaschine liegt erschossen in einer geheimen Wohnung. Sagen wir es gleich, die Schurken sind alle die Russen. Von ihnen geht Gefahr und das absolut Böse aus. Was man früher eher belächelte, wird derzeit durch die politische Wirklichkeit sozusagen bestätigt. Trotzdem nervt, daß es allein immer die Russen sind, die die Schurken abgeben.

Denn nun wird auch noch Vera von diesen entführt. Ihr hatte John in einer Telefonnachricht nur mitgeteilt, er komme ein bißchen später, sie solle auf ihn nicht warten, was der Code war, daß er untertauchen und eine Weile verschwunden bleibe. Höchste Zeit, seine ehemalige Dienststelle und seine Nachfolgerin, die heutige Geheimdienstchefin Alisha Calder, eine Schwarze, ins Spiel zu bringen. Die hat nämlich ein Problem, weil sie eine undichte Stelle in ihrem Team vermutet, da Gerüchte umherlaufen, daß der holländische Geheimdienst in Syrien eine antiwestliche Gruppe finanziell unterstütze weshalb sie unbedingt mit ihrem Vorgänger sprechen will. Da kommt es ihr recht, daß Veras Entführungsversuch, der durch den vor ihrem Haus abgestellten Geheimdienstler vereitelt wurde, ein guter Grund ist, sie ins Büro zu bringen, wo Vera in einer Zelle bleiben muß, weil sie einerseits in Sicherheit sein soll, andererseits dafür bestraft wird, daß sie nichts sagt, wobei sie ja auch wenig weiß.

Im Kern geht es also um das damalige Geschäft in Dresden, das in Zürich abgewickelt wurde, weil in der Schweiz alle finanziellen Transaktionen liefen und die verschobenen Gelder, vor allem die, die beim Zusammenbruch der sozialistischen Staaten durch Ausplünderung dieses Staates massenhaft in der Schweiz gebunkert wurden. John ist also zwischen Dresden, wo er nur noch einen alten Freund-Feind antrifft und zwischen Zürich und Sachsen hin und herwechselt. Er kann tatsächlich aufklären, daß das dort angehäufte Geld, um das er sich nicht gekümmert hatten, bis auf wenige Millionen verschwunden ist. Es ist tatsächlich das Geld, das in Syrien aufgetaucht ist und jede Überweisung hat er persönlich mit seiner Unterschrift auf den Weg gebracht. Nur war er es nicht. Was ist hier los?

Charles den Tex gelingt es, dank seines genialen erzählerischen Schachzugs einen außergewöhnlich spannenden Kriminalroman geschrieben.



Die zehn besten Kriminalromane im April 2024

 
1 (–) Louisa Luna: Abgetaucht
Aus dem Englischen
von Karin Diemerling
Suhrkamp, 457 Seiten, 18,95 Euro

„Ilona“, Oregon. Vor Dekaden ist Footballstar Zeb aus dem Stadion weggerannt. Jetzt
soll Alice Vega den Abgetauchten in Ilona suchen, stößt auf den Kleinstadtking,
seinen Sheriffkumpel und ein Rassistennest. Legt sich mit ihnen und den Hintermännern
an, schützt die Schwachen und säubert die Stadt. Hardboiled feministisch.


2 (6) Patrícia Melo: Die Stadt der Anderen
Aus dem Portugiesischen von
von Barbara Mesquita
Unionsverlag, 398 Seiten, 26 Euro

São Paulo. An der Praça Matriz kommen die Obdachlosen, Junkies, Waisenkinder
der Metropole zusammen. Unverdrossen rennen sie gegen Hunger, Polizeiterror,
Vertreibung, staatliche „Fürsorge“ an, sehnsüchtig nach Glück und Zukunft.
Brasiliens Elend. Ode an die Überlebenskraft der vermeintlich Schwächsten.


3 (3) Danya Kukafka:
Notizen zu einer Hinrichtung
Aus dem Englischen von Andrea O’Brien
Blumenbar, 348 Seiten, 22 Euro

Upstate New York. In zwölf Stunden wird Ansel Packer hingerichtet. Zeit für den
Serienmörder, sein Leben zu rekapitulieren. Kukafka spiegelt es in den Schicksalen
dreier Frauen, die seinen Weg kreuzen mussten. Omnipräsente patriarchale Gewalt
und ihre Zerstörungen: Keine Hinrichtung kann sie heilen. Eindringlich.



4 (1) Hervé Le Corre:
Durch die dunkelste Nacht
Aus dem Französischen von Anne Thomas
Suhrkamp, 340 Seiten, 17 Euro

Bordeaux. Ein muttergeschädigter Frauenmörder, ein desillusionierter Kriminalpolizist und
eine junge alleinerziehende Mutter, geprägt von Gewalterfahrung, treiben
durch Spätwinternächte voller Schlamm, Regen und Depression. Deutsche Entdeckung
eines der bekanntesten französischen Krimiautoren und seiner schwarzen Ästhetik.


5 (5) Fabio Stassi: Die Seele aller Zufälle
Aus dem Italienischen
von Annette Kopetzki
Edition Converso, 284 Seiten, 24 Euro

Rom. Nur wenige kaum verständliche Worte hat Bibliotherapeut und Detektiv Vince
Corso, um ein Buch aufzuspüren, das der Schlüssel zum geistigen und vermutlich
sogar finanziellen Vermächtnis eines Alzheimerkranken sein soll. Detektion mit den
Wundern des Lesens und der Imagination. Vor der Tür: engstirniger Ausländerhass.


6 (–) Till Raether:
Danowski – Sturmkehre
Rowohlt
303 Seiten, 18 Euro

Hamburg, Dänemark. Danowskis Chef will mehr: Der Fleetmörder der 90er Jahre ist
gefasst, aber nicht alle Opfer sind identifiziert. Eines soll die verschwundene Marie
Kolossa sein. Danowski muss sie finden, sonst wandert er in den Knast. Showdown
auf sturmumtoster Insel – allein dafür muss man Danowskis letzten Fall lesen.


7 (–) Charles den Tex: Repair Club
Aus dem Niederländischen
von Simone Schroth
HarperCollins, 492 Seiten, 14 Euro

Den Haag, Zürich, Dresden. Rentner John Antink repariert, was kaputt ist. Als ihm
jemand eine Waffe vorhält, ist er plötzlich gezwungen, seine Vergangenheit zu entrümpeln.
Vor 1989 hat er erfolgreich KGB-Gelder in den Westen transferiert. Sein
Partner: ein kleiner Russe. Putin-Russland hält Antink im Griff. Hochspannend.


8 (–) Adam Morris: Bird
Aus dem Englischen
von Conny Lösch
Edition Nautilus, 303 Seiten, 20 Euro

Westaustralien. Carson ist jung, attraktiv, schlagfertig, ein Abenteuer wert. Bestimmt
hätte er die Chance, aus dem Knast zu kommen. Aber er ist ein Aboriginal. Es sind
Weiße, blind für seine Welt, die ihn beobachten: der fette Psychologe, der Kunsterzieher,
der Wärter, der lieber Koch wäre. Ganz nüchtern: Rassismus ist Zerstörung.


9 (2) Arne Dahl: Stummer Schrei
Aus dem Schwedischen
von Kerstin Schöps
Piper, 458 Seiten, 17 Euro

Stockholm, Uppland. Terror gegen Klimakatastrophe: Bomben zerfetzen Manager.
Eva Nyman, Chefin der Spezialeinheit NOVA, ahnt, wer hinter den Anschlägen
steckt: ihr ehemaliger Chef, der als Prepper im Wald lebt. Doch auch nachdem er gefasst ist,
gehen die Anschläge weiter. Neue Serie vom Meister intelligenter Spannung.


10 (–) Pascal Garnier: An der A26
Aus dem Französischen
von Felix Mayer
Septime, 117 Seiten, 19 Euro

Region Lille. Seit fünfzig Jahren hausen die Geschwister Bernard und Yolande im
Haus am Stadtrand. Seit man ihr nach Kriegsende den Kopf schor, hat sie es nicht
mehr verlassen. Er ist sterbenskrank. An der Baustelle der A26 begräbt er die Frauen,
die er tötet. Du denkst: Schwärzer ist schwer möglich. Doch, bei Garnier.